Wieso verschwinden Bands aus den Charts?
„Rock ‘n’ Roll can never die“, heißt es in Neil Youngs Song von 1979. Die Zeile wurde zum geflügelten Wort. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass Rockmusik und -Bands immer mehr aus den Charts verschwinden.

Die späten Siebzigerjahre, als die kanadische Rock-Ikone Neil Young das Stück „Hey Hey, My My“ veröffentlichte, waren goldene Zeiten für Bands. Young spielte damals selbst in einem Quintett namens Crazy Horse. Es war zu der Zeit, 1979, völlig selbstverständlich, dass Bands große Hits landeten, auch während der folgenden Achtzigerjahre. Man denke an prominente Beispiele, die die Charts bevölkerten, wie Pink Floyd mit „Money“, die Dire Straits mit „Walk of Life“, The Police mit „Message In A Bottle“, Queen mit „Radio Gaga“ oder Van Halens „Jump“. Songs wie diese prägten den Soundtrack einer oder gar mehrerer Generationen, die Bands dahinter kannte jeder.
An Stelle der Bands treten Solo-Acts
In heutigen Zeiten sind es vornehmend Künstler wie Taylor Swift, Kendrick Lamar, Ed Sheeran, Beyoncé, Nina Chuba oder Harry Styles, die diesen Platz einnehmen. Fällt Ihnen etwas auf? Das sind alles Solo-Acts.

Liefen bis in die Neunzigerjahre Songs von Bands ebenso stetig wie selbstverständlich im Radio, horcht man heute eher erstaunt auf, wenn über den Äther der typischen Sound einer Band erklingt. In den letzten 30 Jahren haben es immer weniger Bands in die Charts geschafft. Dies förderte eine Studie zutage, die die in Berlin ansässigen Datenanalysten von Data Pulse Research im Auftrag der Klavier-Lernplattform Skoove durchgeführt haben.
Eklatanter Schwund von Bands aus den Charts
Basierend auf einem Datensatz von über 193.000 Song-Chartplatzierungen aus der Zeit von 1986 bis Ende 2024 wurden die schwindende Präsenz von Bands festgestellt und Gründe für diesen Wandel der Musikindustrie analysiert. So belegten Mitte der Neunzigerjahre Bands noch rund 50 Prozent der Chartplätze. Dagegen sind es heute gerade mal noch sechs Prozent. Ein Beispiel mag dies eindringlich veranschaulichen:
Die aktuellen deutschen Single-Top-Ten Mitte März 2025 bestehen aus Namen wie Oimara, Zartmann, Doechii, Ayliva, Yakary, Sleepy Hallow, Gracie Abrams, sowie Lady Gaga und Rosé jeweils mit Bruno Mars. Bands? Fehlanzeige. Es lässt sich aber ein Trend erkennen, nämlich Kollaborationen. Auch dies enhüllte besagte Studie: Songs mit zwei oder mehr Interpreten haben stark zugenommen und belegten 2023 über weite Stecken die Top-Positionen in Deutschland. Geläufiges Beispiel ist der Hit „Komet“ von Apache 207 und Udo Lindenberg.
Neuer Musik-Trend sind Kollaborationen
„Im Jahr 2018 machten Kollaborationen hierzulande sogar 53 Prozent der Top-Chartplätze aus, mehr als Solo-Artists und Bands zusammen. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren verstärkt, während der Anteil von Bands kontinuierlich gesunken ist“, kommentiert Nicolas Caramella, CEO von Data Pulse Research. Und fügt an: „Die Zunahme von Kooperationen zeigt einen bedeutenden Wandel in der Musiklandschaft. In den US- oder UK-Version der Charts fällt dieser Effekt weniger stark aus.“

Zwischen September 1986 und Oktober 2024 waren in den wöchentlichen deutschen Charts 19.722 Songs – mit unterschiedlicher Verweildauer (Grafik: Skoove / Datapulse).
In hiesigen Charts laufen derlei Kollaborationen den Bands seit 2011 den Rang ab. Der von Caramella beschriebene Wandel der Musiklandschaft geht dabei mit der Veränderung der Gewohnheiten des Musikhörens einher.
Keine Bands unter populärsten Künstlern 2024
2008 startete Spotify, der heutige Platzhirsch in Sachen Musik-Streaming, das mittlerweile den Löwenanteil des Musikmarktes ausmacht. Der Spotify-Gründer Daniel Ek handelte mit den drei weltweit größten Majorlabels – Warner, Universal und Sony Music – für beide Seiten lukrative Verträge aus. Wer welche Musik wie oft hört, hängt inzwischen oft von den sogenannten Playlists ab, die Spotify generiert.
Auch wenn die genauen Details, wie die Algorithmen die Playlists bestücken, nicht offengelegt werden, ist es offensichtlich, dass die Spotify-Nutzer vor allem Solokünstler und Kooperationen bevorzugen.
In den Top-Ten der meistgestreamten Songs oder der weltweit meistgespielten Künstler von 2024 findet sich keine einzige Band. Um Streaming-Daten einzubeziehen, wurden in oben genannter Studie auch populäre Songs auf Spotify auf Grundlage der Hörer-Anzahl analysiert.
Bandsound klingt heutzutage „oldschool“
„Algorithmen bringen immer mehr von demselben, was die Menschen bereits hören, ‘more oft he same’ – und das sind Soloacts”, stellt Antje Zelnitschek fest, General-Managerin des kleinen Labels F.A.M.E. Recordings in München. „‘Echte‘ Bandsounds werden von der Masse nicht mehr so angenommen. Durch den digitalen Musikkonsum hat sich das Hörverhalten verändert. Viele können nicht mehr unterscheiden zwischen einem echten und einem programmierten Instrument.“

Der Klang programmierter Musik hat sich mittlerweile tief eingebrannt. Daher klinge der akustische Sound von Bands für viele dann eher oldschool, so Zelnitschek. Dass Soloacts vonseiten der Industrie massiv gepusht werden, liegt laut der Szenekennerin daran, „dass es günstiger und einfacher ist. Bei Bands reden mehr Menschen mit und es müssen auch mehr Menschen bezahlt werden. Wenn man mit einem einzigen Protagonisten die gleichen Umsätze machen kann – wozu dann noch mit Bands arbeiten?“
Werden Bands zum Auslaufmodell?
So werden neue Bands kaum mehr gefördert, gesigned oder unterstützt. Da es die meisten Bands im Rock-Genre gibt, schwinden beide zusammen mehr und mehr. Schon lange ist Rockmusik weniger populär als etwa Pop oder Hip-Hop.
Dass Bands aber ein komplettes Auslaufmodell werden, ist nicht zu befürchten. Schließlich gibt es noch Dinge außerhalb der Charts. So konzentrieren Bands sich schon länger aufs Live-Business, weil damit für die meisten mehr zu verdienen ist. In Line-Ups von Festivals und Liveclubs entdeckt man nach wie vor jede Menge Bands. Und was Album-Charts angeht, scheint die Situation auch etwas anders zu liegen als in der Studie. Alexandra Dörrie, die mit der Agentur Another Dimension auch viele Bands promotet und dafür die Charts beobachtet, sagt: „Bei den Album-Charts sind die deutschen Metal- und Rockbands immer noch sehr gut dabei.“ So schnell stirbt Rock ‘n’ Roll eben doch nicht.
Und im Übrigen – so das Fazit der Studie – müssten Bands einfach ihren Solo-Rivalen nacheifern und Social-Media-Plattformen besser nutzen, um neue Fans zu gewinnen. Keine unlösbare Aufgabe.