Wie entstehen komplett analoge Aufnahmen?
Komplette Analog-Aufnahmen mit dem Label AAA sind rar. Welch Aufwand dahintersteckt, doch warum er sich lohnt, erfuhr STEREO beim Besuch von Produzent Leslie Mandoki.
Die Möglichkeiten, Musik analog wiederzugeben, sind nach wie vor vielfältig. Die Zeiten, in denen Musik noch hauptsächlich analog aufgenommen wurde, sind dagegen schon länger vorbei. Diese Art von Aufnahmen haben heute – in Zeiten des Harddisc-Recordings – Seltenheitswert. Denn sie sind zeitintensiv, aufwendig und teuer. Und vielfach nicht mehr möglich, weil das Equipment fehlt. Gerade heute gilt dies für komplett analog entstandene Aufnahmen, AAA genannt oder „Triple A“. Sie sind analog aufgenommen, analog gemischt und analog gemastert.
Einer, der diesen Weg allen Umständen zum Trotz bei seinem aktuellen Album* gegangen ist, ist Leslie Mandoki. Viele mögen den gebürtigen Ungarn von der Gruppe Dschinghis Khan kennen. Mit ihr feierte er in den frühen 1980er-Jahren international Erfolge.
All-Star-Band Mandoki Soulmates
Dem Schlagerpop von Ralph Siegel entsagte er jedoch bald und gründete vor drei Jahrzehnten die Band Mandoki Soulmates. Hiermit backte er als Bandleader alles andere als kleine Brötchen. Zu den Gründungsmitgliedern zählen solch musikalische Schwergewichte wie der Cream-Bassist Jack Bruce, Guitar Hero Al Di Meola und Ian Anderson, Mastermind von Jethro Tull.
AAA-Album: „A Memory Of Our Future“
Vor Kurzem erschien das aktuelle Album „A Memory Of Our Future“.* Es wurde mit durchgehend analoger Signalverarbeitung vom Aufnahme-Mikrofon bis zur Vinylpressung produziert. Die zwölf Songs dieses rund 80-minütigen Albums changieren zwischen Pop, Prog und Fusion. Erhältlich ist es als 180-g-Doppel-LP sowie aktuell als „White Vinyl“-Edition, ebenso als CD-Edition, Tonband oder im Streaming.
„Ich schrieb und schrieb und habe der Band dann die Songs vorgestellt“, beschreibt Mandoki, wie die Sache vor gut zwei Jahren ihren Anfang nahm. „Damals hat der Bandkollege Tony Carey gefragt: ‚Hast du noch die alte Analog-Bandmaschine?‘. Er fand, das passe gut zum Spirit der Songs. Ich antwortete: ‚Ja, die haben wir im Keller eingemottet‘. Und dann sagte Carey: ‚Lass uns die doch rausholen und schauen, ob sie noch funktioniert.‘“
Leslie Mandoki nimmt neues Album mit 24-Spur-Analog-Bandmaschine auf
In diesem Fall war das eine raumfüllende, analoge 24-Spur-Bandmaschine von Studer. Sie befand sich noch im Fundus von Mandokis Red-Rock-Production-Studio in Tutzing am Starnberger See. Ein paar Teile mussten ausgetauscht, einiges musste gewartet und danach alles neu eingemessen werden. Nach zwei Tagen war die Analog-Maschine dann nach bald 20-jährigem Dornröschenschlaf wieder einsatzbereit. Eine glückliche Fügung also, dass hier entsprechendes Gerät mit nicht allzu großem Aufwand reaktiviert werden konnte. In vielen Fällen stellt dies sicher die größte Anfangshürde für die Umsetzung von Analog-Produktionen dar.
„Eine größere Verbreitung [von AAA-Aufnahmen] scheitert schon daran, dass schlicht das Equipment zur Produktion nicht oder nur in eingeschränktem Maße vorhanden ist“, kommentiert Ingo Hamecher. Er ist Vorsitzender der deutschen Analogue Audio Association, die über ihren Shop AAA-Aufnahmen vertreibt. „Auch die zur Herstellung erforderliche Expertise ist nicht mehr sonderlich verbreitet“, so Hamecher. Davon kann Lukas Gäßler, der General Manager von Mandokis Red-Rock-Production-Studio, ein Lied singen. „Der Personenkreis derer, die Derartiges noch leisten können, wird immer kleiner“, räsoniert Gäßler.
Musiker mit Analog-Erfahrung werden rar
Umso hilfreicher, dass die Bandbesetzung von Madokis Soulmates fast ausnahmslos aus „alten Hasen“ besteht. Sie sind mit dem Analog-Aufnahmeprozess quasi noch blind vertraut. Wir reden hier – neben den bereits erwähnten Herren Anderson und Di Meola – von britischen und US-Größen wie Mike Stern, Randy Brecker, Bill Evans, Cory Henry, SteveBailey, Simon Phillips (ehemals Toto), Tony Carey (von Rainbow), Nick Van Eede (Sänger der Cutting Crew) und Richard Bona. Von er Band Supertramp sind gleich drei Musiker dabei: John Helliwell, Jesse Siebenberg und Mark Hart. Der deutsche Ausnahmetrompeter Till Brönner komplettiert das Line-up.
Sie alle unter einen Hut zu bringen war laut Mandoki kein Problem. „Die Jungs kamen, wir haben die Noten ausgeteilt und uns in den Kreis gesetzt. Wir haben erst mal nicht gespielt, sondern sogenannte Leseproben gemacht, wo besprochen wurde, wer wann was spielt“, erläutert Mandoki.
„Wärme und Lebendigkeit“ geht in digitalen Aufnahmen oft verloren
Die ganze Musikerschar kam wohlgemerkt zum Einspielen persönlich in sein Studio. „Als wir angefangen haben zu spielen, saß das Ganze dann“, beschreibt Mandoki das Vorgehen beim Aufnahmeprozess. Sonst werden oft etliche Spuren der einzelnen Instrumente aufgenommen und am Computer editiert. In diesem Falle nutzten die Musiker beim gemeinsamen Aufnehmen Handzeichen und Körpersprache. „Wir hatten etwa nur eine Gitarrenspur. Es gab keine Extra-Spuren für die Mischun und keine Korrekturen“. Dies fing „eine Wärme und Lebendigkeit in der Musik ein, die in digitalen Aufnahmen oft verloren geht“, heißt es im Booklet zum Album.
In Alufolie per Flieger nach New York
Nachdem die analoge Aufnahme und Mischung in Mandokis Studios fertig im Kasten waren, packte Mandoki das in Alufolie gehüllte, analoge Magnetband in einen Koffer. Damit ging es dann per Flieger nach New York. In Alufolie deshalb, damit die Aufnahmen nicht beim Röntgen des Gepäcks am Flughafen zerstört werden.
In New York sorgte der Toningenieur Greg Calbi im renommierten Sterling Sound Studio für das analoge Mastering. Nachdem Mandoki zurück war, ging es zum Vinylschnitt von „A Memory Of Our Future“ in die Emil Berliner Studios. Der Namensgeber gilt als Begründer der modernen Phonographie, auf den Plattenfirmen wie Polydor oder die Deutsche Grammophon zurückgehen.
Analog-Album als ein „Liebesbrief an das Publikum“
Alles in allem also ein ziemlicher Aufwand und ebenso eine große Investition. Da liegt die Frage nahe, ob sich so etwas rein wirtschaftlich noch lohnt? Die Antwort von Mandokis Studio-Manager erstaunt nicht. „Die Absatzzahlen von Alben sind heutzutage nicht mehr so, dass man eine solche Produktion dadurch refinanzieren könnte“, erklärt Lukas Gäßler. Das Ganze bleibt also ein seltenes und ideelles Liebhaberprojekt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.„Es ist wie ein mit Füller geschriebener, musikalischer Liebesbrief an das Publikum“, lautet Leslie Mandokis passende Allegorie.
Leslie Mandoki über Streaming und Audiophilie
STEREO fragte den Studiobesitzer und Analog-Fan Leslie Mandoki, ob heutige Gepflogenheiten des Musikkonsums die Audiophilie untergraben.
Die Wärme und Lebendigkeit der Musik geht in digitalen Aufnahmen oft verloren, heißt es sinngemäß im Booklet des neuen Albums. Trauern Sie den rein analogen Zeiten nach?
Natürlich gab es eine wunderbare Zeit, in der Progrock sowie auch Jazzrock und Fusion ihren Höhepunkt hatten. Musik wurde auch immer individueller und kreativer. Das war Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre wirklich ein absoluter Traum – je individueller der Sound war, umso besser.Pink Floyd, den frühen Genesis, Queen, Deep Purple oder Jethro Tull, King Crimson, Emerson, Lake & Palme sind herausragende Beispiele. Sie alle hatten ihren eigenständigen Sound, ihre eigene Klangästhetik, geprägt von großem Individualismus mit großartigen Alben.
Die Art des Musikhörens hat sich seitdem sehr gewandelt …
Natürlich hat die CD vieles vereinfacht – auch beim Autofahren, das war die letzte große Kathedrale des individuellen Musikhörens. Doch das zelebrierende Musikhören, wie es bei Vinyl gewissermaßen natürlich gegeben ist, trat etwas in den Hintergrund. Das war bedingt durch diesen „Easy-to-use“-Aspekt bei der CD und auch bei der Musikkassette, bei Walkman und Discman. Dennoch stand formal immer noch das Wunderbare, nämlich das Album, im Vordergrund.
Untergräbt das heute vorherrschende Streaming diesen Nimbus des Wunderbaren?
Streaming ist eine Art „Track-Business“, wie die Amerikaner sagen, es ist hauptsächlich auf Songs und Playlists konzentriert. Man hat heute eher extremst verkürzte Aufmerksamkeitsfenster, vieles läuft einfach so nebenbei und damit gegen diese wunderbare Idee eines Albums. Vielleicht streamen Boomer auch deshalb nicht so oft.
Ist es nicht ein Antagonismus, ein AAA-Album wie Ihres dann auch auf Streaming-Plattformen anzubieten?
Das Streaming hat eben vieles verändert. Auch macht das andere Erlösmodell vielen das Leben richtig schwer. Deshalb wollten wir mit unserem Album auf Vinyl und auch auf Tape etwas „Wahrhaftiges“ anbieten. Damit kann man dieses Erlebnis, ein Album anzuhören, ganz bewusst zelebrieren.
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