Hörspiele in 3D-Audio: Mit 100 in die 3. Dimension

Das Hörspiel feiert 2024 seinen hundertsten Geburtstag – und nutzt die Fortschritte der Technik. STEREO verrät, ob man sich mit 3D-Audio mittendrin im Geschehen fühlt.

3D-Hoerspiele_Aufmacher

Das Hörspiel lässt sich getrost als Synonym für den Begriff „Kopfkino“ bezeichnen: Man hört den Ton, und der Film dazu läuft im Kopf ab. In Zeiten von Virtual Reality mag das Genre manchen aus der Zeit gefallen erscheinen, doch erfreut es sich bis heute großer Beliebtheit: Im Februar vorletzten Jahres kam das erfolgreichste Album in Deutschland nicht etwa von Ed Sheeran oder Taylor Swift; es war vielmehr das Original-Hörspiel zum Disney-Film „Die Eiskönigin – Völlig Unverfroren“.* Mit 1.400.000 verkauften Exemplaren erreichte es siebenfachen Platin-Status.

Damit stand es nicht als Einzelfall dar, denn im Schlepptau der „Eiskönigin“ sicherte sich im selben Monat ein weiteres Disney-Hörspiel, „Vaiana“*, mit 200.000 ­verkauften Alben Platin-Status. Und noch zwei weitere Disney-Hörspiele sind im Monats-Ranking des Bundesverbands Musikindustrie mit Gold-Status für je 100.000 verkaufte Einheiten gelistet. Wer hätte das gedacht? Sicher haben in diesen Fällen die Kino­filme nicht wenig zum Erfolg der zugehörigen Hörspiele ­beigetragen

Allererstes Hörspiel: „Zauberei auf dem Sender“

Es scheint für das Hörspiel symptomatisch, dass seine Popularität an andere Medien geknüpft ist. So begann seine Geschichte, die diesen Oktober genau 100 Jahre zurückreicht, fast zeitgleich mit der des Radios, das im letzten Jahr 100 Jahre alt wurde. Im Oktober 1924 ging nämlich das erste Hörspiel namens „Zauberei auf dem Sender“ über den Äther. Damals nannte man es noch „­Rundfunkgroteske“.

Der Urheber Hans Flesch war künstlerischer Leiter beim Frankfurter Sender Südwestdeutsche Rundfunkdienst AG. In seinem neuen Format fanden sich alle Elemente dessen, was ein Hörspiel ausmacht. Zu hören ist die Originalfassung nicht mehr. Sie wurde am 24. Oktober 1924 live gesendet. Da es damals die technischen Voraussetzungen zur Aufzeichnung noch nicht gab, existiert kein archivierter Mitschnitt von „Zauberei auf dem Sender“, sondern lediglich das Manuskript dazu.

Zum 100sten: John Sinclair „Der Anfang“ als 3D-Version auf Blu-ray


Die Zeiten ändern sich: Heute, da das Genre 100-jähriges Jubiläum feiert, können Radio-Hörspiele nicht nur nach der Sendung in vielen Fällen nachgehört werden; es gibt sie auch als jederzeit verfügbare Formate auf Streamingportalen. Daneben erlaubt die Wiedergabetechnik inzwischen, Hörspiele nicht nur in Zweikanalton, sondern in 3D-Audio zu hören.

Hierbei sollen Geräusche und Klang aus verschiedenen Richtungen wahrnehmbar sein – nicht nur von links und rechts wie bei herkömmlichem Stereo-Sound, sondern etwa auch von oben oder unten. Das Ziel dahinter ist ein besonders realistisches Hörerlebnis, als wäre man mitten im Geschehen. Ein aktuelles Beispiel ist „Der Anfang“, die erste Folge der bekannten „John Sinclair Classics“-Hörspielreihe. Lübbe Audio präsentiert sie anlässlich des 100. Hörspiel-Geburtstags in einer 3D-Audio-Version auf Blu-ray.

Bei wem es jetzt nicht gleich klingelt: „John Sinclair“ ist der erfolgreichste Groschenroman der Welt. Inhaltlich geht es um die Gruselabenteuer eines Geisterjägers. Der Protagonist ist Polizist bei Scotland Yard. Erdacht hat die Serie Jason Dark alias Helmut Rellergerd vor mehr als 50 Jahren. Allein die Hörspielreihe umfasst annähernd 200 Folgen.

Mit Dolby Atmos mitten im Gruselgeschehen?

Nicht nur Musik wurde eigens für den Geisterjäger komponiert, sondern auch gleich ein umfassendes und fulminantes Geräusche-Archiv. Unter der Regie und Bearbeitung von Oliver Döring, in der Hörspielszene ein Garant für gute Produktionen, begeisterte der Geisterjäger Sinclair einmal mehr die Fans von Schauergeschichten. STEREO wollte wissen: Kann Dolby Atmos auf diesen Erfolg noch eins draufsetzen und holt Zuhörende tatsächlich mitten ins (Grusel-)Geschehen?

Ob man sich bei 3D-Audio realistischer gruselt, wollten wir herausfinden und haben uns „Der Anfang“ auf Blu-ray angehört. Dabei war die Erwartung sehr hoch, denn Lübbe Audio hat sich längst einen Namen in Sachen guter Audioproduktion gemacht. So feierte vor einiger Zeit die „2000er-Edition“ der neuen „John Sinclair“-Hörspielserie bei Lübbe großen Erfolg.


STEREO macht 3D-Hörprobe mit Kopfhörer

Daniel Schiepe ist STEREO-Experte in Sachen Hörspiele: Der Grafikchef unseres Magazins betreibt nebenbei ein Hörspiel-Label namens MeinOhrenkino. Hier veröffentlicht er kostenlos eigene Hörspiele. Die „John Sinclair“-Reihe kennt er aus dem Effeff und hat die Blu-ray-Disc einer Hörprobe unterzogen – mit Kopfhörer, weil er denkt, dass die meisten Hörspiel-Fans das aus Gewohnheit auch so tun.

Daneben birgt es den Vorteil eines niedrigschwelligen Einstiegs, da keine beson­deren Komponenten vonnöten sind, wie etwa eine Dolby-Atmos-fähige Anlage inklusive entsprechender Lautsprecher-Systeme. Ein Kopfhörer und eine Verbindung zur Quelle, etwa über Bluetooth, reichen aus. Denn, das ist wichtig zu wissen, man kann 3D-Audio nicht „einfach so“ hören, sondern es braucht dazu – so wie die 3D-Brille, um 3D-Filme zu schauen – entsprechendes Equipment, das Technologien wie Dolby Atmos oder 360 Reality Audio wiedergeben kann.

Höreindruck der John-Sinclair-3D-Version

Bei „Der Anfang“ finden sich unter den Audio-Optionen die typischen Ausgabeformate wie Surround, Dolby Atmos, Stereo oder auch binaurales Audio speziell für Kopfhörer. Wir hörten mit einem Focal-Bathys-Bluetooth-Kopfhörer; dabei fiel sofort die Räumlichkeit auf: „Man befindet sich mitten in einem sehr breiten Hör-­Panorama. Das Geschehen spielt sich zum Teil hinter oder vor dem oder der Zuhörenden ab – bei einem Grusel- oder Horrorhörspiel die optimale Einsatzmöglichkeit. Dialoge klingen nicht zentriert, sondern sind eindeutig links und rechts zu verorten. Zuweilen ist das etwas gewöhnungsbedürftig, da sich der jeweils andere Kanal wie stummgeschaltet anhört“, schildert Schiepe den Höreindruck.


Der Erzähler von „John Sinclair – Der Anfang“ steht präsent im Zentrum des Panoramas – so der Eindruck unseres Testhörers: „Geräusche kommen gut und klangvoll aus dem Hintergrund oder klingen erst entfernt und kommen dann näher. Die Musik füllt ebenfalls das ganze Panorama aus. Eine Geräuschkulisse ‚von oben‘ lässt sich allerdings kaum wahrnehmen“, wie Schiepe feststellt: „Das Ganze spielt sich eher auf einer horizontalen Ebene ab.“

Fazit des 3D-Hörspiel-Hörtests von STEREO

Vergleicht man die anderen Audioformate, lässt sich feststellen, dass die Dolby-Atmos-Version über Kopfhörer nicht mit der binauralen Version mithalten kann. Der Sound ist insgesamt etwas flacher und auch deutlich leiser. Das 3D-Gefühl verliert etwas an Tiefe. Ähnlich bei der Surround-Version: Hier fielen keine großen Unterschiede zur Atmos-Version auf. Die Stereo-Version bietet indes genau das, was man erwartet. Daniel Schiepes Fazit der 3D-Hörprobe: „Das Hörspiel ‚Der Anfang‘ in 3D-Audio zu hören, ist ein wirklich neues Hörerlebnis. Die binaurale Version bietet einen absoluten Mehrwert zum herkömmlichen Stereo-Sound. Dialoge, Geräusche und Soundeffekte werden gut räumlich abgebildet.“ 100-prozentig war der Hörspielexperte letztlich aber nicht überzeugt: „Zu wirklich hörbarem ‚3D zum Anfassen‘ reicht es nicht.“

Weitere Hörspiele in 3D-Audio

Zum Hereinschnuppern ins Thema empfehlen sich die 3D-Hörspiele in der ARD-Audiothek im Internet. Thomas Laufersweiler von ARD Online erklärt dazu: Bei den 3D-Hörspielen der Mediathek handele es sich „um binaurales Audio für die Kopf- bzw. Ohrhörerwiedergabe, übermittelt in einem gewöhnlichen 2.0-Stereo-File. Die nötige Audioverarbeitung für diese 3D-Audio-Empfindung ist fest in die Audio-Files eingearbeitet. Somit lassen sie sich auf jedem Endgerät bei Nutzung von beliebigen Kopf- bzw. Ohrhörern genießen; die Nutzung von Kopf- bzw. Ohrhörern (egal welchen Fabrikats bzw. welcher Bauform) ist dabei jedoch zwingend erforderlich. Die Endgeräte müssen also keine spezielle Technologie unterstützen“, so Laufersweiler. Der Aha-Effekt hängt hierbei jedoch stark vom einzelnen Hörspiel ab. Als wir über Kopfhörer probeweise in „1975: Centropolis“ hineinhörten, klangen etwa eine Taxifahrt-Situation mit Geräuschen vorbeifahrender Autos wirklichkeitsnäher, als man es von der Zweikanalton-Wiedergabe kennt.


Die thematische Auswahl der ARD-3D-Audiothek reicht hierbei von „Knallhart – Die ARD Thriller-Hörspiele“ bis zu „Waldbaden im Bayerischen Wald“. Wem John Sinclair und seine Geisterjägerei zu gruselig sind, kann sich für eine 3D-Klangerfahrung auch an „Die drei ???“ halten. Dieser Hörspiel-Blockbuster lässt sich auf Apple bzw. Amazon Music auch in den Formaten Dolby Atmos und 360 Reality Audio streamen.

3D-Audio-Hörspiele live: „Die drei ???“

Aktuell gibt es 3D-Hörspiel von „Die drei ???“ auch als Live-Aufführungen in ausgewählten Planetarien, etwa eine 90-minütige Neufassung des Klassikers „Die drei ??? und die singende ­Schlange“. Zur optischen Unterstützung werden animierte Illustrationen, die eher Symbolcharakter haben, an die Gebäude-Kuppel projiziert. Über 50 Lautsprecher, die kreisförmig installiert sind, lauscht man den Abenteuern der drei jugendlichen Detektive mit räumlichem Eindruck. Auch in Kinos gibt es „Die drei ???“-Hörspiele im 3D-Sound. Infos dazu auf der Website.


Patrick Schappert von Grobi.TV über 3D-Audio

Anlässlich des Erscheinens der John Sinclair Blu-ray unterhielt sich STEREO mit dem Chef des Heimkino-Spezialisten Grobi.TV, der sich schon länger in Sachen 3D-Audio engagiert.

Herr Schappert, warum sollte man Hörspiele wie „Geisterjäger John Sinclair“ in 3D-Audio hören?
Stereo ist nun mal nicht die Form, einen Ton realistisch wiederzugeben. Da gibt es sicher Pro und Contra, aber meines Erachtens ist es nicht die realistische technische Möglichkeit, Audio oder überhaupt Akustik wiederzugeben. Man muss sagen, dass diese Branche in den letzten zehn Jahren ziemlich gepennt hat, was das angeht. Ich rede dagegen, schon seit das Thema aufkam, davon, dass man 3D-Sound für zu Hause haben sollte.

Was genau ist daran denn besser?
Das ist beim Hörspiel der letzte Schritt zum Realismus einer solchen Story – wie Kino ohne Bild. Schließlich geht es darum, mir eine Situation so realistisch wie möglich darzustellen. Bei Stereoton fährt ein Auto von links nach rechts, was zuvor in Mono nicht möglich war. Jetzt, in 3D-Audio, fährt es nicht nur von rechts oder links, jetzt fährt es von vorn nach hinten, und über mir fliegt noch der Hubschrauber.

Als wir 3D-Audio mit Kopfhörer hörten, war unser Eindruck eher ein horizontales Klang-Panorama …
Das Problem ist, dass man über Kopfhörer den Mehrwert, den ein Dolby-Atmos-Titel bietet – ob es nun Musik oder ein Hörspiel ist –, nicht wirklich wahrnimmt. Doch es gibt einen nicht kleinen Anteil an AV-Verstärkern auf dem Markt, die Dolby Atmos, DTS:X oder auch Auro 3D wiedergeben können. Das ist erst das eigentlich Richtige. Bezüglich „John Sinclair – Der Anfang“ hatte ich daher die Idee, einen Eine-Minute-Schnipsel daraus zum Download auf unserer Website anzubieten, den man dann per Media- oder Blu-ray-Player abspielt. Auf einer Dolby-Atmos-fähigen Anlage ist das dann auszugsweise eins zu eins zu erleben. Bei Mobilgeräten funktioniert dasselbe auch über Apple-Handys und Apple Music.


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