Stan Ricker gestorben

Gerne hätten wir ihn noch getroffen, als wir Anfang 2014 an der Westküste diverse Mastering-Studios besuchten. Doch Stan Ricker, der weit oberhalb von Los Angeles im Städtchen Ridgecrest lebte, wollte nicht mehr. "It’s a hell of a drive", beschied er uns fürsorglich, die wir gerne zu dieser Ikone der Vinylszene gefahren wären, in einer Email.…

Gerne hätten wir ihn noch getroffen, als wir Anfang 2014 an der Westküste diverse Mastering-Studios besuchten. Doch Stan Ricker, der weit oberhalb von Los Angeles im Städtchen Ridgecrest lebte, wollte nicht mehr. "It’s a hell of a drive", beschied er uns fürsorglich, die wir gerne zu dieser Ikone der Vinylszene gefahren wären, in einer Email. Und: "MY WIFE AND I ARE CRANKY OLD FARTS WHO WOULD RATHER NOT HAVE ANY VISITORS FROM ANYWHERE". So war er: etwas raubeinig und geradeheraus. Aber was seine Schnittfolien anging äußerst behutsam, ja fast zärtlich. Stan Ricker, Jahrgang ’35 und just verstorben, gelangte zu Berühmtheit, als er in den Siebzigern die meist fantastischen Vinylschnitte für das Reissue-Label Mobile Fidelity Sound Lab, kurz MFSL, in dem von ihm entwickelten und verfeinerten "Half Speed Mastering"-Verfahren anfertigte. Dabei rotierte der Teller mit der Lackmatritze nur mit halber Geschwindigkeit, und auch die Analogbänder der Alben liefen halb so schnell an den Magnetköpfen vorbei. Das brachte Ricker zwei wesentliche Vorteile: Erstens hatte der Schneidestichel die doppelte Zeit, um die Information zu ritzen, und außerdem kam man so mit einem Viertel der benötigten Kraft des Schneideverstärkers aus, was Verzerrungen minimierte. Einige der damaligen auf diesem Weg entstandenen Schallplatten gehören nach wie vor zum Besten, was je gepresst wurde, und werden von ihren Besitzern wie Schätze gehütet. Ricker war für viele Label mit halbem Speed, aber vollem Enthusiasmus und prallem Know-how aktiv, darunter Reference Recordings oder Windham Hill. Nun wurde er abberufen, denn im Himmel gibt’s ebenfalls ein Vinyl-Revival.
Matthias Böde