Leverkusener Jazztage 10.11.2013

Candy Dulfer, eine der wenigen weiblichen und zudem zweifellos unter den virtuosesten sowie erfolgreichsten Saxophon-Spielern des Planeten, ist in Leverkusen immer eine sichere Bank. Und so galt die niederländische Schönheit sowohl als Publikumsmagnet wie auch als Höhepunkt des Konzertabends, der mit vier Gigs angesetzt war und somit ohnehin ein musikalisches Spektakel versprach. Und doch kam es zu gleich mehreren Überraschungen.

Es begann mit leichter Verspätung, aber schon hochkarätig mit dem brasilianischen Grammy-Gewinner Ivan Lins, der imstande war, mit südamerikanisch wie afrikanisch beeinflussten, phantastisch vielfältigen Klangkollagen zu begeistern. Sein neues Album „Carnucopia“ stand im Fokus des Auftritts, der von der SWR Big Band druckvoll begleitet wurde – ein ungewöhnliches, aber dennoch faszinierendes Arrangement. Eine gute Big Band zeigt dem HiFi-Fan immer wieder, wo und wie hoch eigentlich „live“ der Hammer hängt.

Der eigentliche Überraschungs-Coup des Abends folgte mit „Sheila E.“, die viele in den 80ern im Umfeld von „Prince“ gesichtet und durchaus wohlwollend als ansprechende Drummerin und Percussionistin eingeschätzt haben dürften. Auch zu immerhin drei Top-Ten-Hits hatte es seinerzeit gereicht. Doch mit dem rhythmischen Feuerwerk, welches die in Topform und unfassbar hohen Schuhen auflaufende Mittfünfzigerin – fast zwanzig Jahre jünger scheinend – in der Folge auf der Bühne des Leverkusener Forums abbrannte, hatte ich nicht im Traum gerechnet. Ungeheuer mitreißend und umrahmt von nicht minder guten Begleitmusikern sang und trommelte Sheila E., spielte zwischendurch gar Rhythmusgitarre und Bass, interpretierte die eigenen Erfolge wie „A Love Bizarre“ oder „The Belle of St. Mark“ wiedererkennbar, aber dennoch völlig neu. Am Schluss verblüffte die temperamentvolle Latina zudem mit einer einfühlsamen Ballade, die sie ihrem Vater Pete „Coke“ Escoveda widmete, der u.a. bei Carlos Santana die Trommeln bediente und dem sie „alles verdanke“. Gerade dieser sensationelle Auftritt war ein unvergessliches Konzerterlebnis, das nicht nur bei mir eine Tonträgerjagd nach sich ziehen wird. Da sie zudem überzog und die Zuschauer wie gebannt waren, hätte es nicht gewundert, wenn Candy Dulfer ihr den Stecker herausgezogen hätte. Doch weit gefehlt, denn die Damen – das wurde beiläufig angedeutet – scheinen befreundet zu sein. Nach dieser Konzertexplosion dürfte Sheila E. jedenfalls künftig eher zu einem „Main Act“ avancieren.

„The Zawinul Legacy Band“ wurde die vielleicht etwas undankbare Aufgabe zuteil, während der Umbaupause im Hauptsaal im weitaus kleineren Konzertsaal oben im Forum für Stimmung zu sorgen. Die Formation hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Musik des erfolgreichen und prägenden Jazz-Musikers Joe Zawinul (u.a. „Weather Report“) authentisch fortleben zu lassen. Experimentellere Instrumentierungen wie etwa mit der Klangschalentrommel litten zwar ein klein wenig an der Enge und Akustik der Location, in die die angeheizten Konzertbesucher zahlreich strömten. Dennoch war auch dieser Auftritt ein echter Gewinn.

Wer Candy Dulfer (Foto: Adam Kucharczyk) schon einmal live gesehen hatte, wartete nun gespannt auf einen weiteren, perfekt inszenierten Auftritt mit dem einsamen Höhepunkt „Lily was here“, dem einst federführend von Dave Stewart komponierten und mit ihr eingespielten Superhit. Doch auch hier kam es anders, denn Candy Dulfer, wie Sheila E. übrigens vor Jahrzehnten im Umfeld von „Prince“ durchgestartet, trat mit völlig neuer Band an. Und die begeisterte neben der „Chefin“ mit Vokalakrobatik und musikalischen Ausflügen in die DJ- und Rap-Szene, womit nun wirklich überhaupt niemand gerechnet haben dürfte. Ein weiterer Höhepunkt des überaus unterhaltsamen, aus Sicht des Musikliebhabers nachhaltig beeindruckenden Abends, der entgegen jeder Erwartung fast am Montag endete, gut eine Stunde später als geplant.   

Vor allem die denkwürdigen, aufgezeichneten Auftritte der beiden Power-Ladies werden übrigens am 16.12. via 3Sat im TV ausgestrahlt. Das sollte man unbedingt gesehen haben – am besten mit Beamer und einer in Sachen Dynamik leistungsfähigen Anlage. Ach ja: Den Nachbarn sollte man tunlichst Bescheid sagen ;-)

Tom Frantzen

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