Interview mit Jazz-Legende Nils Landgren

Nils Landgren erzählt über seinen Weg zur Posaune, seine Leidenschaft zur Musik und beantwortet viele spannende Fragen im Interview mit Wieland Kniffka, dem künstlerischen Leiter von Jazz in the City – bei uns kostenlos und in voller Länge!

WK: Wir haben heute Freitag, den 3. Dezember 2021. Dies ist ein besonderes Jahr. Es ist immer noch ein Jahr, das unter merkwürdigen Sternenkonstellationen steht. Und heute Abend spielst Du hier mit Deinen Freunden das Christmas-Programm. Ich habe über Dich beziehungsweise über Deine Familie gelesen, dass Blasmusik bei Euch immer eine gewisse Rolle gespielt hast. Hast Du eigentlich in Deinem Leben mit anderen Instrumenten geflirtet, oder wie bist Du schließlich zu der Posaune gekommen?  

NL: Also ich habe mit dem Schlagzeug angefangen, als ich sechs Jahre alt war, weil meine beiden Brüder auch getrommelt haben. Mein Papa spielte Kornett im Blasorchester, und ich dachte, das ist perfekt, dann kann ich auch mitspielen. Mit sieben durfte ich in der Blaskapelle mitmachen. Das hat viel Spaß gemacht! Aber ich fand damals schon, dass die Blasinstrumente was ganz Besonderes haben. Mit 13 war ich irgendwie fertig mit dem Trommeln. Zufälligerweise habe ich eine Posaune bei uns zu Hause gefunden, die mein Papa reparieren sollte. Und die hat einfach sofort zu mir gepasst.

WK: Du hast schon früh gewusst, dass Du Musiker werden willst. Kannst Du Dich noch daran erinnern, wie es war, als Du das erste Mal auf der Bühne gestanden hast? 

NL: War das mit 16? Nein, das stimmt nicht. Ein Jahr später. Ich glaube, mein erstes Konzert hatte ich mit einer Profi-Band in Karlstadt im Westen von Schweden, wo ich auch auf dem Musikgymnasium studiert habe. Wir haben ein Konzert gespielt, und ich habe 50 Kronen verdient – also ungefähr fünf Euro. Und ich dachte: Hey, das ist ja was! Vielleicht kann ich in ein paar Jahren 60 Kronen verdienen. Und dann dachte ich, dass ich vielleicht Musiker werden kann. Als es bei diesem Konzert gut lief, habe ich ziemlich schnell entschieden: Ich muss Musiker werden, ich muss Profi werden. 

WK: Was hat Dich dann zum Jazz geführt?  

NL: Das kam eigentlich viel später. Ich habe zuerst einfach da gespielt, wo es gepasst hat – egal, ob  Klassik oder Pop. Mit 18 begann ich mein Studium an der Hochschule. Da gab es zwei Schienen: Klassik und Jazz. Ich wollte Orchestermusiker werden und in einem Sinfonieorchester spielen. Ein paar Probespiele habe ich absolviert, und das lief auch sehr gut, aber nicht gut genug. In der Zwischenzeit bekam ich andere Angebote und hatte die Möglichkeit, mit bekannten Popmusikern in Schweden zu arbeiten. Da war klar, dass ich das probieren musste, und mit 20 habe ich eben auch mit solcher Musik angefangen. Und gleichzeitig habe ich mich weiterhin mit dem Jazz befasst, aber dafür gab es zu dieser Zeit keine Ausbildung. Alles, was mit Jazz zu tun hat, habe ich mir selber beigebracht. Meine Ausbildung ist ausschließlich klassisch.  

WK: Gab es damals Vorbilder? Und sind das heute noch die Vorbilder, die Du hast?  

NL: Davon gab es viele, die haben sich entweder erweitert oder geändert. Aber ich hatte durch meinen Papa schon ein paar Vorbilder wie Louis Armstrong und Duke Ellington. Und später natürlich Miles Davis, als ich anfing, ein bisschen mit Jazz zu „fummeln“.  Und dann kamen James Brown, Otis Redding und Jimi Hendrix. Davor aber natürlich auch noch die Beatles – schon als ich sieben Jahre alt war. Die Beatles haben meine Welt verändert.  

WK: Bei den Beatles muss man natürlich die Frage stellen: Beatles oder Stones oder beides? 

NL: Für mich immer die Beatles. Meine Freunde haben ja die Stones viel mehr gemocht, einige haben die Beatles sogar gehasst. Aber ich fand ihre Musik ganz toll. Die Beatles hatten ja auch eine ziemlich kurze Karriere, die Stones hingegen spielen immer noch! Aber für mich ist die Musik der Beatles heute immer noch genauso gut, wie sie damals war. Jimi Hendrix war ja auch eine Revolution in Deutschland. Und dann kamen LED Zeppelin und Black Sabbath. Das fand ich auch genial. 

WK: Okay, ich glaube, wir sollten uns mal über Platten unterhalten. Spätestens bei Black Sabbath können wir uns sehr intensiv austauschen. 

NL: Gerne! (lacht)  

WK: Wenn Du zurückreisen könntest in der Zeit, in welches Land und in welche Epoche würdest Du gerne reisen, mit welchen Musikern performen? 

NL: Das tut mir leid, aber ich möchte gerne hier sein, wo ich gerade bin. 

WK: Okay, wunderbar. Du stehst ein bisschen für einen populären Funky Jazz. Gibt es noch andere Musikstile?

NL: Bei diesem Konzert heute Abend spielen wir ja keinen Funk. Das ist ja was total anderes. Wir spielen Musik, die zu Advent und Weihnachten gut passt. Und wir soielen auch ohne Schlagzeug, weil das in eine Kirche einfach überhaupt nicht passt. Ich finde es toll, dass ich verschiedene Musikrichtungen spielen kann und selbst entscheiden darf, wie und wann und mit wem. Also ich kann mich wirklich nicht beklagen. 

WK: Sehr schön. Gibt es für Dich aus Deiner Sicht einen spezifischen charakteristischen „Nordic Jazz“ oder eine Art „Nordic Sound“ im Jazz? Oder ist das ein Klischee?  

NL: Das ist zum Teil ein Klischee. Aber natürlich hat es auch eine gewisse Richtigkeit. Die Musik aus Norwegen beispielsweise hat schon einen sehr besonderen, melancholischen, träumerischen Klang. Man sieht förmlich die Fjorde. Ich denke, das hat mit dem Leben nahe der Natur und Abstand von Menschen zu tun. Im Norden haben wir auch eine ungebrochene Volksmusiktradition. Und ich glaube, das hat einen großen Einfluss auf die zeitgenössische Musik, auch wenn niemand so darüber nachdenkt. Wir sind mit dieser Art von Musik aufgewachsen, die uns über Jahrhunderte geprägt hat. Und es ist egal, ob das Lieder mit Gesang oder instrumentale Stücke sind, man spielt ja auch mit der Natur.  

Aber ich meine, so etwas macht man ja auch in Deutschland – so wie die Leute, die zum Beispiel auf Alphörnern blasen. Die spielen ja auch mit der Natur. Aber es gibt einen Unterschied. Das ist alles in Dur, und bei uns ist alles in Moll. Sogar unsere schwedischen Alphörner sind in Moll gestimmt.

WK: (Lacht) Gibt es schwedische Alphörner? 

NL: Ohja, die sind aber gerader und etwas kürzer. Ich habe eines das ist ca. 1,80 m lang und das klingt sehr schön aber total anders. In der alten Zeit haben ja die Mädels, die mit den Kühen auf die Alm gegangen sind, damit kommuniziert oder gesungen. Da gibt es ja auch einen Gesangsstil, den man kilometerweit hören kann.  

WK: Hast Du das Instrument schon mal auf der Bühne eingesetzt? 

NL: Ja, das habe ich dann zusammen mit einem russischen Hornisten, der auch Alphorn spielt.

WK: Du arbeitest ja in vielen Formationen und Konstellationen. Gibt es da so eine, wo Du sagst: Das ist eigentlich meine liebste Situation? 

NL: Nein, das ist immer das, was ich jetzt gerade mache. Das ist mir am liebsten. Wenn ich mit einer Besetzung spiele, ist das auch mein Fokus. Ich habe ja vorher auf Deine Frage geantwortet, wo ich mich gerne befinden würde, wenn ich eine Zeitreise machen könnte. Das ist für mich genauso mit der Musik. Ich bin genau da, wo ich bin, und ich will nirgendwo anders hin. 

WK: So viele Fragen habe ich gar nicht mehr, wenn Du nirgendwo anders mehr hin willst (lacht). Du spielst mit vielen anderen Musikern zusammen und wechselst die Konstellationen. Gibt es da so einen Punkt, wo Du merkst: Das passt! Was macht sie aus, diese Wellenlänge? Und woran spürst Du das dann, dass Du mit jemandem musizieren kannst und willst?  

NL: Also ich glaube, das ist eine Frage von Verständnis, menschlich und musikalisch. Denn wenn es menschlich nicht schwingt, dann wird es schwierig. Aber wenn diese menschliche Welle funktioniert, wenn es funkt sozusagen, dann kann man auch Musik zusammen machen, und es ist eigentlich egal, welche Art von Musik. Aber das Menschliche muss zuerst da sein. 

WK: Wenn Du etwas Neues komponierst, welchem Menschen spielst Du das dann als Erstes vor?  

NL: Am liebsten niemandem, aber das muss ich ja irgendwann. Manchmal spiele ich es meiner Frau vor. Ich bin ja seit 43 Jahren verheiratet – mit der gleichen Frau. Oder den Leuten, mit denen ich es dann hoffentlich spielen soll. Wenn ich ein Stück für 4 Wheel Drive geschrieben habe oder für Funk Unit, dann spiele ich es den Leuten vor. Der Johann, der Gitarre spielt in dieser Band, den kenne ich seit ewig. Wir haben unser erstes Konzert in Deutschland 1980 gespielt. Also kennen wir uns wirklich in- und auswendig. Und dem würde ich was Neues wahrscheinlich auch vorspielen.  

WK: Wie lange hältst Du es eigentlich aus ohne Dein Instrument? Gibt es solche Phasen? 

NL: Oh ja. Damit habe ich kein Problem. Aber ich spiele fast immer. Während dieser Pandemie war es natürlich nicht immer einfach, Disziplin zu halten, denn ich übe ja jeden Tag – mehr oder weniger. Ich kann mal einen Tag auslassen, aber eigentlich muss ich täglich üben, damit ich so gut spielen kann, wie ich will. Und man wusste ja nie, ob irgendwas kommt, es könnte eine Anfrage kommen für ein Streaming-Konzert oder eine Aufnahme für jemanden, die ich zu Hause machen könnte. Wenn ich Urlaub machen würde, dann könnte ich mir vorstellen, eine Woche ohne Posaune zu sein, aber dann dauert es ein, zwei Wochen, bis man wieder so spielen kann wie vorher.

WK: Da gab es so einen Witz über Punk-Bands, dass die in Zukunft keinen Punk mehr spielen, weil sie so viel Zeit zum Üben in der Corona-Phase hatten, dass sie jetzt alle nur noch Jazz spielen.

NL: Hahahahah – das ist gut. Finde ich sehr gut. Vielleicht stimmt das sogar.  

WK: Du hast so eine ruhige, ausgeglichene Art, und Du machst einen ganz entspannten Eindruck. Gibt es etwas, was Dich aus der Fassung bringen kann?  

NL: Oh ja, da gibt es viel. Erst einmal Unrecht überhaupt. Das kann zwischen Menschen sein, oder es kann politisch sein, oder es kann alles Mögliche sein. Und natürlich gibt es Projekte, wo ich gemerkt habe, dass ich nervös werden kann, was mir nicht so bewusst war. Und das kann mich wirklich aus der Fassung bringen. Aber meistens bin ich ziemlich ruhig und benutze meine Energie für die Musik. Egal ob die still oder funky oder verrückt ist.  

WK: Okay, Du hast gerade angesprochen, dass Du neben der Bühne noch viele weitere Projekte hast. Es gibt „Ärzte ohne Grenzen“, wo Du Dich engagierst, dann gibt es die „Red Horn Foundation“. Beeinflusst die Pandemie Dein Engagement dort? 

NL: Wenn man keine Einnahmen hat, ist es schwierig, solche Projekte zu halten, weil die Projekte, die ich zum Beispiel in Kenia betreibe natürlich viel Geld kosten. Ich bin ja sozusagen ein eigenes Unternehmen, ich arbeite dafür alleine, und gleichzeitig habe ich gesehen, dass die Bedürfnisse der Menschen, die ich unterstützen will, natürlich nicht kleiner oder weniger werden, denn es geht ihnen ja nicht besser. Sie können gar nichts bezahlen, nicht mal Essen. Und während der Pandemie haben diese Länder auch Lockdowns gehabt. Das ist sehr schwierig gewesen, denn die Polizei springt sehr hart mit den Menschen um. Und das war nicht so einfach. Das ist immer noch nicht einfach, aber ich arbeite ja momentan auf jeden Fall hier und da, wo ich arbeiten darf. 

WK: Wer oder was macht Dir da Hoffnung? 

NL: Ich glaube, ich bin im Positiven geboren, und ich werde auch positiv sterben. Also vom Sinn her, und ich glaube, das Einzige, was uns eigentlich retten könnte, wäre, dass Menschen ihren großen Geiz ein bisschen zur Seite legen und versuchen, einander zu helfen. Das gilt ja für die ganze Pandemie. Zum Beispiel sich impfen zu lassen. Das ist ja ganz einfach, das könnte man machen, um anderen Menschen zu helfen und nicht so selfish zu denken, aber das scheint nicht bei allen richtig zu funktionieren.  

WK: Du hast auch ein paar Auszeichnungen bekommen, unter anderem eine aus Deutschland, nämlich das Bundesverdienstkreuz für große Verdienste um die deutsche Musikszene. Wie kam es dazu, und was bedeutet dir so was eigentlich?  

NL: Wie kam es dazu? Also ich habe ja nicht darum gebeten, eine Medaille zu bekommen, sondern das haben die Leute, die sich um solche Sachen kümmern, offenbar so gesehen. Und das hat mich natürlich sehr gefreut. Es war ganz unerwartet. Und die schwedischen Auszeichnungen sind ja ähnlich, in deren Augen habe ich viel für die Musiklandschaft in Schweden gemacht. Und ich trage sie auch gerne, aber das kann man ja nur ganz selten machen. Letzten Montag habe ich das gemacht, mit Frack und allem. 

WK: Was war da der Anlass?

NL: Da gibt es eine Akademie in Schweden, die Königliche Musikalische Akademie, die von Gustav dem Dritten irgendwann im 18. Jahrhundert gegründet wurde. Und diese Akademie besteht aus Komponisten und Musikern, meistens aus dem klassischen Bereich, und wir treffen uns einmal pro Jahr für eine größere Festlichkeit. Das ist total entspannt. Das glaubt man nicht, wenn alle im Frack und langen Kleider einlaufen. Aber es ist total entspannt, und man isst und trinkt und hat eine gute Zeit.  

WK: Wir haben eine schwierige Zeit gerade, stecken mittendrin. Es zieht überall um uns herum an, auch Teile der jetzigen Tourneen sind schon ausgefallen. Das lässt eigentlich wenig Raum für Ruhe und Besinnlichkeit. Gibt es solche Momente dennoch, und welche Gefühle schwingen für Dich mit, wenn Du in diesen Tagen präsentierst?  

NL: Genau das, was Du erwähnt hast, also Ruhe und Besinnlichkeit und die Freude, dass wir heute Abend für viele Leute spielen dürfen. Denn jedes Mal, wenn ich vor einem Publikum spielen darf, entsteht ja etwas, und ich freue mich auf die Kommunikation nicht nur mit meinen Musikerkollegen und Kolleginnen, sondern auch auf die mit dem Publikum. Darum geht es ja eigentlich. 

WK:  Und wer Dich schon mal gehört hat, der weiß, wie viel Freude Du dem Publikum machst! Eine Frage zum Schluss noch. Gibt es Pläne für die Zukunft, von denen Du heute schon etwas andeuten kannst? 

NL: Ich kann nur eins sagen – mein Papa hat immer gesagt, du sollst nicht alle deine Träume verraten.



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