Auf dem starken neuen Longplay nimmt die gestörte Mutter-Tochter-Beziehung einigen Raum ein. So klagt Lisa in der herzergreifenden Soulnummer „Ghost“: „Hast du mich je wirklich geliebt? … Du hast mich vor allen beschützt, nur vor dir selbst nicht“. Und im Blues-Slowsong „Tonight“ lässt die 56-Jährige den Tränen danach freien Lauf. Beim Blick zurück im Zorn bleibt sie jedoch nicht stehen. Laut eigener Aussage klingt das Trauma der Kindheit allmählich ab. Mittlerweile hat sich Lisa im inneren Dialog mit der 2003 gestorbenen Mutter ausgesöhnt, sie hat den Ort inneren Friedens entdeckt und findet das Dasein, wie es im Titel eines erbaulichen Funk-Stücks heißt, immer häufiger einfach „Wonderful“.
Das fesselnde neue Opus, das stilistisch zwischen Gospelinbrunst, Sixties-R&B, Soul, Rockigem und Afrorhythmik wechselt, wurde denn auch zum Zeugnis einer toughen Frau, die die Ketten der eigenen Biografie sprengt und jetzt selbstbestimmt ihren Weg geht. Oder um es mit den Worten von Lisa Simone zu sagen: „Heute strahlt mein Stern so, wie ich wusste, dass er es eines Tages tun würde. Ich bin glücklich. Und frei.“
Harald Kepler