Christian setzt das Original ins Recht, das lange von Leopold Auers (gekürzter) Fassung verdrängt worden war. Sie betont das Erzählerische, schlüpft hier in die Rolle der schwärmerischen Tatjana, wo andere Geiger eher maskulin auftrumpfend den Onegin geben. Durch genaue Phrasierung und keusche Gestik verlebendigt Christian die Musik. Sicher, was das Bogentemperament und Klangzauber betrifft, bleiben Huberman, Heifetz, Oistrach unerreicht. Aber Christian blendet nicht mit Mätzchen, stellt das Werk in den Mittelpunkt, spannt einen Bogen über den ersten Satz, genau und sprechend begleitet vom Orchester unter der Leitung von Jérémie Rhorer. Und dem Kosakenritt des Finales bleibt sie nichts schuldig.
Zum Höhepunkt wird das Sextett „Souvenir de Florence“, für das die Geigerin Johannes Strake, Wen Xiao Zhen, Jano Lisboa, Jan-Erik Gustaffson und den Lebensgefährten Maximilian Hornung versammelt hat. Sie stürzen sich in das Spätwerk, dass das Kolophonium im Gegenlicht zu zerstäuben scheint. Da wird nichts verdickt, der Kontrapunkt rhetorisch verstanden, plastisch treten Nebenstimmen hervor. Atemlos taumeln sie in der Coda aus dem ersten Satz heraus. Nach dieser Raserei finden die Sechs zu einer süßen Verinnerlichung im Andante cantabile, geradezu lässig groovend. Die düstere Rahmung des dritten Satzes wird nicht unterschlagen, großartig die Fuge im Finale.
Götz Thieme