Nicholas Angelich | Prokofjew: Klaviersonate Nr. 8

Nicholas Angelich ist ein eigenwilliger Pianist, der das virtuoseste Repertoire aufsucht, seine Pflichten souverän absolviert, um sich bald ganz der Erschließung der lyrischen Bereiche zu widmen, die ihm unendlich mehr wert zu sein scheinen. In der achten Sonate Prokofjews muss er nicht lange suchen. Man wird den Eingang des Kopfsatzes, für den er sich fast vier (!) Minuten mehr nimmt als das Gros der Kollegen, in seiner zarten Kontrapunktik und tastenden Bewegung selten vollendeter abgetönt hören. Aber irgendwann muss Angelich Bereiche betreten, die sich versonnener Ästhetisierung radikal entziehen.

Den Beginn der Durchführung mit seinem Sechzehntelweben kann er noch als großzügig hingeworfenes, malerisches Geschehen abbilden, aber von den folgenden kahlen, dissonanten Seiten, die in einer brutalen Apotheose des Seitenthemas gipfeln, wendet sich der Schöngeist hörbar ab. Er dokumentiert den fff-Ausbruch korrekt, aber die ihm kompositorisch zustehende schmerzhafte Intensität enthält er ihm vor. Dem erbarmungslosen Stampfen des Finale-Mittelteils ergeht es ähnlich. Das Verebben, das Nachzittern, die unendlichen Diminuendi kostet er dann in erlesenem Nuancenreichtum aus.

Eigentlich mag dieser Jäger der kostbaren Episoden sich nicht einmal auf die motorischen, toccatenhaften Texturen des Finales einlassen, die er bestenfalls ordentlich, gelegentlich aber, wie in den pedallos hingeklapperten Arpeggiostellen, sogar etüdenhaft klingen lässt. Es ist nicht ungefährlich, den über Jahrzehnte leidgehörten sowjetischen Perkussionsstil in einer derart sanften Radikalität zu widerrufen. Auch die Stücke aus „Romeo und Julia“ verraten, dass man dieser Musik ein gewisses Maß an Härte zugestehen muss, um sie am Leben zu halten.

Matthias Kornemann

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Nicholas Angelich | Prokofjew: Klaviersonate Nr. 8

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Prokofjew: Klaviersonate Nr. 8, Visions fugitives, Zehn Stücke aus „Romeo und Julia“ (Auszüge); Nicholas Angelich (2020); Erato/Warner

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