Aber seit Busoni gab und gibt es immer wieder Künstler, die den rätselhaften Virtuosen-Einsiedler zu rehabilitieren suchen. Dieses Motiv prägt die Interpretationshaltung umso mehr, wenn man sich auf das Wagnis einer Gesamteinspielung einlässt, wie der englische Pianist Mark Viner.
Die „Sinfonie für Klavier“, Teil eines bescheiden Etüden genannten, monströsen Zyklus von 273 Druckseiten, ist eine für Alkans Verhältnisse eingängige quasi-Sonate, auf die sich auch eine ganze Reihe hochvirtuoser Raritätensucher gestürzt haben. Vollblutvirtuosen wie Vincenzo Maltempo oder Yuri Favorin verflüssigen den etwas konventionellen Satz des Beginns effektsicher, regelrecht schamlos. Das Wühlen der Begleitfiguren, die unbändigen Einwürfe der gebrochenen Oktaven sind bei ihnen fast reißerisch eingesetzte Treibmittel zur Erhöhung emotionaler Temperatur.
Viner will den Hörer nicht mitreißen, sondern den Text seriös dokumentieren, auf die Gefahr hin, neben den Genannten etwas philologisch-hölzern dazustehen. Das Prestissimo-Finale nimmt er ruhiger, dem schieren Drive dieses wahnwitzig losschnurrenden Satzes will er sich nicht überlassen. Er gewinnt aber nicht nur Deutlichkeit in den hakeligen Figurationen, er bewahrt auch Reserven für die Finalsektion mit den aberwitzigen Oktavsprüngen. Erst hier trumpft Viner auf. Um bloße Hörer-Überwältigung geht es ihm nicht, er möchte Werkarchitekturen zeigen. So empfiehlt er sich als verlässlicher Cicerone durch das labyrinthische Œuvre Alkans.
Matthias Kornemann