Die Österreicher bieten immerhin ein Alleinstellungsmerkmal: Sie haben zusätzlich Entwürfe und Fragmente von sinfonischen Sätzen – vor allem aus Schuberts früher Jugend – im Programm, die teilweise recht vielversprechende Ansätze zeigen, aus irgendwelchen Gründen vom Komponisten aber nicht weiter verfolgt wurden.
Die Fragmente bestehen manchmal nur aus wenigen Takten, aber es sind auch Stücke von drei und mehr Minuten darunter – alle sind in einer aufführbaren Form überliefert. Vervollständigungen hat Michi Gaigg nicht berücksichtigt, weshalb mehrere Entwürfe Schuberts auf diesem Album fehlen. Sie sind in der erhaltenen Form schlicht nicht befriedigend spielbar. So etwa die Sätze Nr. 2 bis 4 des Entwurfs der E-Dur-Sinfonie D 729, von denen Schubert weitgehend nur einzelne Stimmen notierte.
Zu den kanonischen Sinfonien präsentiert L’Orfeo indes kaum neue Erkenntnisse. Gaigg leitet eine schnörkellose Wiedergabe in großer Übersetzung, die Tempo- und Dynamik-Exzessen klug aus dem Weg geht. Die Dirigentin bevorzugt jedoch einen leicht mulmigen Klang, in dem führende Stimmen gerne mal verschluckt werden, wie etwa zu Beginn des Finales der vierten Sinfonie. Im insgesamt recht lärmigen Schluss-Allegro der „großen“ C-Dur-Sinfonie schlägt sie im Seitenthema auf einmal ein schnelleres Tempo an als zuvor, wofür es keinen wirklichen Grund gibt. Die Spielkultur des eigentlich auf kleinere Formate geeichten Orchesters ist alles in allem bestechend.
Andreas Friesenhagen