Iván Fischer stellt die Sinfonien und Orchesterwerke des Wahlwieners mit wuchtigem, raumgreifendem Orchesterklang vor. Aber er gießt nicht die dicke sinfonische Sauce über die Partituren, dazu ist seine Lesart zu differenziert. Er nutzt den großen Apparat, um Brahms’ Aussagen Gewicht und der Dramaturgie der Werke Suggestivität zu verleihen, was ihm auch bestens gelingt. Dafür ist das von ihm gegründete, vom ungarischen Staat geförderte Budapester Festival-Orchester ein idealer Partner.
Fischer und seine Musiker sind von der historisierenden Praxis denkbar weit entfernt, sie scheuen sich aber nicht, hin und wieder das Portamento als Stilmittel einzusetzen, das im 19. und frühen 20. Jahrhundert selbstverständlicher Bestandteil des Orchesterspiels war. Aber nicht nur das verleiht diesen Aufnahmen einen hohen Wiedererkennungswert. Es ist vor allem die hochpersönliche Gangart des Dirigenten, der etwa das „Freudenthema“ aus dem Finale der Ersten erfreulich unsentimental nimmt, wie es sich für das „Brio“ in der Tempovorschrift gehört. Der aber auch dem melancholisch getönten Intermezzo der Dritten genügend Bodenhaftung mitgibt.
Im sehr leidenschaftlich aufgefassten Finale der Vierten lässt Fischer das Flötensolo im 3/2-Mittelteil dennoch überaus fragil musizieren, während das im vollen Streichersatz erklingende Seitenthema gegen Ende des zweiten Satzes hier in überwältigenden Sound gekleidet ist. Neben den üblichen Ouvertüren und den „Haydn-Variationen“ bezieht Fischer zum Glück auch die unterbewertete Serenade Nr. 2 in sein Konzept mit ein und zeigt damit, wie gewichtig dieses vermeintlich „leichte“ Werk doch ist.
Andreas Friesenhagen