Guidi interessiert sich weniger für Gatos Erfolge mit der Filmmusik zu „Last Tango In Paris“, sondern für die Anfänge in den 1960er-Jahren, als Gato mit Don Cherry in Europa tourte. Guidis früherer Bandleader und Mentor, der Trompeter Enrico Rava, spielte damals eine wichtige Rolle, und auch er hat „Ojos de Gato“ oft gespielt.
Guidis fünfte Platte bei CamJazz ist eine furiose Hommage, aus der die Proteste gegen die Militärdiktaturen Lateinamerikas widerhallen. Der lodernde, heisere Ton Gatos tönt adäquat aus dem Tenorsaxofon von James Brandon Lewis, während Guidis langjähriger Weggefährte Gianluca Petrella mit Bravour die Rolle des Posaunisten Roswell Rudd meistert.
Programmatisch beginnen die sechs wie mit einem Aufschrei: „Revolución“. Freies Spiel verdichtet sich zu Kollektivklängen, die sich wieder abstrakt auflösen. Der hymnische Gestus von Gatos Musik erfüllt „Latino America“ und „Padres“, während sich in „Ernesto“, einem der schönsten Stücke des Albums, die Tango-Emotion Gatos entlädt. Enrico Rava bescheinigt Giovanni Guidi, der eine seiner Formationen The Rebel Band nannte, einen „konstruktiv-subversiven“ Ansatz. Wie in Kapiteln eines Buches beleuchtet das italoamerikanische Sextett, das im Samurai Hotel Recording Studio in New York zusammentraf, Gato Barbieris Sturm-und-Drang-Phase.
Karl Lippegaus