Das Konzerthausorchester klingt in den Holzbläsern noch differenzierter ausgearbeitet, in den Streichern noch runder, gleichzeitig weniger durch die Bässe geprägt als die Virgin-Veröffentlichung, ohne dass dieses Fundament in den Interpretationen zu kurz käme. Vor allem aber fallen die in vielen Sätzen strafferen Tempi, die konziseren architektonischen Bögen auf. Hier wie dort atmet das Orchester voller Farben, wird nicht nur das thematisch-motivische Material in der Tiefe erkundet, sondern vor allem ist die Innenspannung der Wiedergabe aus Berlin deutlich höher.
Durch Tempowahl und orchestrale Transparenz schlägt Eschenbach den Bogen zurück zu Schubert und vorwärts zu Schönberg und bleibt doch ganz idiomatisch. Das gegenseitige Verständnis der Musiker, die Verbundenheit mit der Tradition, ohne im Vergangenen zu verweilen, ist jeden Moment spürbar, und möglicherweise ist es gerade die Verbindung von langjähriger Erkundung der Werke als Dirigent, ungebrochener Orchesterkultur und gemeinsamem Kunstverständnis, die diese Einspielung über manch andere jüngere hinaushebt. Aufnahmetechnisch in großer Klarheit gut ausbalanciert, erleben wir Sternstunden der Brahms-Interpretation, voll Poesie, Wärme und Dramatik. Neben dem Dirigenteninterview bleibt der Informationsgehalt des Booklets mehr als überschaubar.
Jürgen Schaarwächter