Harmonia Mundi brachte jetzt mit Alain Planès eine Totale aller 21 Chopin-Nocturnes heraus. Der 73-jährige Franzose, bei uns bisher besonders als Debussy- und Schubert-Interpret bekannt, wählte sich als „Handwerkszeug“ einen Pariser Pleyel von 1836: eine ausgezeichnete Wahl. Denn der Flügel hat bestechend leuchtende Höhen und dürfte, da er auch in den übrigen Lagen keine der Schwächen damaliger Hammerklaviere aufweist, sogar hartgesottene Skeptiker überzeugen, dass solche Instrumente eine konkurrenzfähige Hör-Alternative zum modernen Konzertflügel bieten können.
Planès setzt alle Möglichkeiten dieses Instruments geschickt ein für Interpretationen, die weniger auf unanfechtbare Perfektion zielen als auf Spontaneität und Nachdrücklichkeit. Sein Musizieren ist immer bewegt, „sprechend“, kommt dabei aber ohne Übertreibungen aus, spielt auch niemals vordergründig flott oder brillant auf, sondern wirkt umgekehrt oft eher ein bisschen knorrig. Stilistisch würde ich Planès᾿ Darstellung daher annäherungsweise verorten auf halber Strecke zwischen der schlanken Abgeklärtheit des späten Rubinstein und Pires’ manchmal bemühter Intensität oder zwischen Barenboims feinem Klangsinn und der Solidität von Leonskaja. Auf jeden Fall bringt sie originären Hörgewinn.
Ingo Harden