Er war der erste Popstar der Klassik, in England wurde er gar zum „Mick Jagger der Klassik“ ausgerufen. Nachdem sein frühes Ausscheiden beim Chopin-Wettbewerb 1980 zu einem Riesenskandal in der Jury geführt hatte, wurde er Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon und füllte bald schon alle großen Säle bis hin zur Hollywood-Bowl mit 25.000 Zuschauern. Er war in den Boulevard-Medien präsent, bewegte sich im Jetset, lebte auf einem Schloss in Schottland – und galt doch immer als höchst ernsthafter Musiker, der stupende Virtuosität mit tiefem, die Extreme nicht scheuendem Gestaltungswillen verband. Dann kam der Bruch. 1996 starb Pogorelichs Ehefrau, seine einstige Lehrerin Alisa Keseradse. Der Kroate, 1958 in Belgrad geboren und vom zehnten bis zum 20. Lebensjahr in Moskau ausgebildet, sagte alle Verpflichtungen ab und kehrte erst allmählich wieder ins Konzertgeschehen zurück. Bis heute gibt er nur rund zwei Dutzend Konzerte im Jahr, eine CD hatte er seit 1995 nicht mehr aufgenommen. Pogorelich, der seit langem in Lugano lebt, ist auf verschiedenen Feldern karitativ tätig.
Weil, so hieß es, kein geeignetes Zimmer mehr frei war, fand das Interview in einem riesigen neobarock ausgestatteten Raum eines Berliner Luxushotels statt, in dem ein kleines Tischchen und zwei Sessel recht verloren wirkten. Mit zehn Minuten Verspätung erschien Ivo Pogorelich, leger gekleidet mit mattgelbem Poloshirt, beigegrüner, aufgekrempelter Cordhose, orangen Strümpfen und braunbunten Sportschuhen, im Schlepptau eine Managerin und einen Manager, die sich im Foyer postierten. Zunächst prüfte er – nicht unsympathisch, aber ganz souveräner Herr der Lage – den Lichteinfall, rückte die Sessel dann so zurecht, dass wir uns genau gegenübersaßen, und fing, als ich das Stichwort CD nannte, gleich an zu sprechen – mit tiefer, angenehmer Stimme und englisch mit rollendem r.
Es liegt in der menschlichen Natur, besitzen zu wollen. Die Menschen mögen es, etwas zu berühren. Die LP war viel attraktiver, weil die Leute nicht nur die Musik genießen konnten, sondern auch, wenn das Foto auf dem Cover gut war, eine Idee von der Persönlichkeit des Künstlers bekamen durch das Gesicht, eine Geste, was auch immer. Aber mit dieser Zigarettenschachtelgröße… Wissen Sie, als die CD erschien, wurden die Künstler gebeten, etwas zu sagen. Natürlich etwas Positives, obwohl ich damals instinktiv fühlte, dass das den Reiz des Aufnahmeprodukts vermindern würde. Wegen der Größe und wegen des Zellophans, in das die CD-Hüllen eingeschweißt sind. Wenn Leute nach einem Konzert ein Autogramm auf der CD haben wollen, dauert es manchmal Minuten, bis sie das Plastik abbekommen und das Booklet herausgenommen haben.
Aktuelle CD

Beethoven:
Klaviersonaten Nr. 22 F-Dur op. 54, Nr. 24 Fis-Dur op. 78;
Rachmaninow:
Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 36;
Ivo Pogorelich (2016/18);
Sony Classical
(siehe Rezension Ausgabe 10/2019 Seite 51)