Musik und Essen

Birnenförmige Stücke & andere Delikatessen

Naturbeschreibungen in der Musik sind nicht gerade selten. Was aber ist mit einem unserer natürlichsten Bedürfnisse überhaupt – dem Essen? Wenn es darum geht, den Geschmack eines Apfels zu vertonen oder den Geruch eines frisch gebackenen Kuchens, halten sich die Tonschöpfer meist bedeckt. Warum das so ist, hat Julia Hartel versucht herauszufinden. Musik und Essen – Wir wünschen guten Appetit.

Mühsam schleppt er sich durch Dunkelheit, Eis und Schnee, der Wanderer in Franz Schuberts bzw. Wilhelm Müllers „Winterreise“. Wir erfahren dabei viel über seine Seelenqualen, seine Müdigkeit, Einsamkeit und Todessehnsucht. Aber: Wovon lebt er eigentlich auf seiner Wanderschaft? Was hat er zu Abend gegessen?
„Was ist denn das für eine belanglose Frage?!“ könnte man erwidern. „Unser Wanderer sehnt sich nach der Stille des Grabes, da denkt man doch nicht ans Essen!“ Und das mag ja auch stimmen –
vielleicht lebt hier tatsächlich einer nur von (eisiger) Luft und (enttäuschter) Liebe.

Weitet man aber die Betrachtung auf andere musikalische Werke aus – selbstverständlich nur auf solche, denen überhaupt ein eindeutig zu bestimmendes Sujet zugrunde liegt –, so fällt auf, dass essen, das eigentliche „Thema Nummer eins“ auf unserem Planeten, grundsätzlich nur selten ausdrücklich ins Zentrum gerückt wird. Jedenfalls deutlich seltener als Themen wie „Liebe“, „Tod“, „Nacht“ oder sonstige Naturmotive. Für die anderen Künste scheint dies ja nicht zu gelten: Niederländische Mahlzeitstillleben, auf denen Früchte, Pasteten oder filetierte Heringe zu sehen sind, gibt es in kaum zu überblickender Anzahl, und auch in vielen literarischen Werken – etwa den Romanen Fontanes oder Manns – wird den oft üppigen Speisen nicht selten eine für die Handlung durchaus bedeutsame Funktion zugewiesen.

Über die Ursache dafür, warum für die komponierende Zunft Essen nicht unbedingt ein Lieblingsthema darzustellen scheint, können Praktiker wie Theoretiker nur spekulieren. Der Komponist und Arrangeur Philipp Matthias Kaufmann vermutet den Grund in der zu geringen Schnittmenge der jeweils angesprochenen Sinneswahrnehmungen: „Vielleicht passen Musik und Essen einfach nicht zueinander. Musik hat etwas mit Klang, Geräusch, Farben, Stimmungen zu tun. Essen eher mit Geschmack, Geruch, Haptik. Außerdem denke ich, dass Musik (vor allem die ohne Text) Schwierigkeiten damit hat, bestimmte Umstände oder Dinge zu beschreiben. Sie kann mit Stimmungen arbeiten, lautmalerisch werden oder eher intellektuell-formale Bezüge herstellen. Essen ist mit Worten schon nicht ganz einfach zu beschreiben, da hat es so eine relativ ungenaue Kunstform wie die Musik noch schwerer. Mit Worten können wir klarer benennen (‚Das Müsli war fruchtig‘) oder wenigstens Vergleiche heranziehen (‚Das Müsli war muffig wie ein Komposthaufen‘). Aber das kann Musik eben nicht. Sie kann innere Werte zeigen, die viel Spielraum lassen. Oder konkret Klänge und Geräusche nachahmen. Vertone ich schlimmen Hunger, Darben, Elend und gehe im Titel nicht darauf ein, empfindet jeder Hörer seine Version dieses Gefühls. Vielleicht denkt einer eher an Einsamkeit, Trauer …

Selbst ein deutliches Magenknurren in der Bassgruppe kann ohne deutlichen Titel missverständlich sein. ‚Satt‘ kann man noch schwerer vertonen, geschweige denn ‚lecker‘ oder ‚salzig‘. Haptische Wahrnehmungen sind eher umzusetzen: ‚Cremig‘ oder ‚trocken‘ lassen sich grob musikalisch assoziieren. Aber eben nur grob.“
Dem stimmt auch Dr. Thomas Röder zu, Dozent für Musikwissenschaft an der Uni Würzburg: „Ich glaube nicht an die Fähigkeit der Musik, Konkretes zu vermitteln. Vielleicht sind sich die beiden Gegenstände Essen und Musik einfach so selbstverständlich nahe, dass sie sich, explizit gegenübergestellt, gegenseitig diskreditieren.“
Einige Beispiele für Werke, in denen das Essen thematisiert wird, lassen sich aber natürlich trotzdem finden. So taucht es beispielweise in den Gesängen diverser Indianerstämme und anderer Naturvölker auf, ebenso im europäischen Volksliedgut sowie in der sogenannten „Zigeunermusik“. In der neueren Unterhaltungsmusik kann sich die Handlung schon mal in Konditoreien oder an Currywurstbuden abspielen.

Und ab und an begegnen wir der Thematik auch in der „ernsten“ Musik: Essen kann hier einen Handlungsrahmen bilden (wie in Hindemiths „Das lange Weihnachtsmahl“), eher am Rande vorkommen (Bachs Matthäus-Passion), mit Sozialkritik verknüpft werden (wie bei Kurt Weill) oder auch „nur“ einen Titel liefern (Erik Satie, „Trois Morceaux en forme de poire“). „Irgendwie“ ums Essen und Trinken geht es auch in zahlreichen Opern: Immer wieder wird da geschmaust bzw. gehungert, vergiftet oder gesoffen – wie überhaupt flüssige, alkoholhaltige „Nahrung“ die Komponisten deutlich häufiger beschäftigt zu haben scheint als feste.

Von Richard Strauss, der ja wörtlich geäußert haben soll, ein guter Musiker müsse auch in der Lage sein, „eine Speisekarte zu vertonen“, liegt uns mit dem letzten Satz der Orchestersuite „Der Bürger als Edelmann“ die musikalische Inszenierung eines Diners vor. Allerdings werden hier – wenn auch auf kunstvolle Weise – in erster Linie Zitate aus anderen Kompositionen zusammenmontiert.

Selbstverständlich soll auch der bis heute gepflegte Brauch der „Tafelmusik“ nicht unerwähnt bleiben, zu dem Telemann ja durchaus einiges Schöne beisteuerte, der aber von Beethoven wie auch von Wagner nicht weniger leidenschaftlich gehasst wurde – denn Tafelmusik, so formulierte es Letzterer, missbrauche doch nur „das Tonspiel zum Maskieren des Besteckgeklappers“. Wer selbst einmal zur Untermalung eines Essens im Hintergrund musiziert hat, weiß um die Wahrheit dieser Worte.


Den kompletten Artikel lesen Sie in der Ausgabe Oktober 2015

Buch-Tipp zum Thema

Roberto Iovino, Ileana Mattion: Sinfonia gastronomica: Eine Reise durch 2500 Jahre Musik und Esskultur. Philipp Reclam, Stuttgart 2015, 304 S., 29,95 Euro. Das Buch erscheint am 7.10. 2015

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