Die Universal hatte die Instrumentalistin im Herbst des vergangenen Jahres noch mit einer umfangreichen 58-CD-Box („The Philips Legacy“) gewürdigt. Es war für die Klaviergilde unter den Klassikkennern die Möglichkeit, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, wie das damals war. Damals, als die Nazi-Zeit ja irgendwie überwunden werden musste, als klassische Musik noch eine Frage der Bildungsabgrenzung, ja des Anstandes war. Die ja auch sozialrevolutionäre Alte-Musik-Bewegung keimte gerade erst auf. Da spielte Ingrid Haebler ihren gediegenen („Londoner“) Johann Christian Bach as unschuldig as possible, vor allem natürlich „ihren“ Mozart. Hier und da so keck, wie es mit Perlenkette und Brosche eben geht, vor allem aber dem Geist der Zeit entsprechend brav abgezählt. Und natürlich hat das Ganze auch eine Facette, die erst die Geschlechter-Diskussionen der letzten Jahre freigelegt haben: Eine Frau hatte selbstverständlich dezent zu sein, einen Schlitz im Kleid trug damals wahrscheinlich keine Pianistin.
1929 wurde Ingrid Haebler in eine Wiener Adelsfamilie geboren, debütierte mit elf in Salzburg und konnte ihre Laufbahn nach der Befreiung Westeuropas unter anderem durch Studien bei Nikita Magaloff fortsetzen. Im Jahr 1954 gewann sie den ARD-Wettbewerb, es folgten viele Aufnahmen für die Philips, auch die Mozart-Violinsonaten mit Henryk Szeryng. Im Alter von 93 Jahren ist Ingrid Haebler, die lange auch am Mozarteum unterrichtet hatte, verstorben. Als vornehm und genauestens ausbalancierend wird sie den einen, als Zeugin einer heute fremd wirkenden, ganz nach innen gerichteten Emotionalität manch anderen in Erinnerung bleiben.
https://www.stereo.de/fonoforum/archiv/1960/7/ingrid-haebler-28905