Es gibt Opernlegenden, die werden durch Interpretationen gemacht. Und solche, die durch äußere Faktoren geprägt sind. Grace Bumbry ist wohl eine Mischung. Denn natürlich war sie eine fabelhafte Mezzosopranistin. Ihre späten Ausflüge ins Sopranfach seien unter der Abteilung „es sei ihr verziehen“ verbucht. Bumbry studierte u. a. bei der legendären Lotte Lehmann. Sie besaß vielleicht auch daher einen sehr direkten Zugang zur Sprache, auch zur deutschen. Hört man heute ihre 1961er-Venus aus Bayreuth, beeindruckt das, man wird aber eine Reihe Sängerinnen nennen können, die das genau so intensiv oder gar intensiver gemacht haben und machen. Unbenommen bleibt der historische Wert ihres Auftrittes auf dem Grünen Hügel. Er half sicher dabei, das Nazi-Image der Festspiele etwas zu reinigen, der Welt zu zeigen, „Schaut her". Und natürlich half das PR-Event der Bumbry beim Aufbau ihrer weltumspannenden Karriere. Interessanterweise hat sie keine Aufnahme hinterlassen, mit der sie Maßstäbe hinterlassen hätte. Ihre Prinzessin Eboli in Verdis „Don Carlos“ sticht schon durch das ganze Setting (von Bergonzi bis Solti) heraus, ist aber auch kein Meilenstein ihrer Rolleninterpretation. Aber muss eine Sängerin überhaupt derart Herausstechendes zu bieten haben? Grace Bumbry war eine hoch geschätzte Sängerin, deren Timbre flirrte und unter dem sich eine große emotionale Tiefe öffnete. Eine große Sängerin ohne Frage. Und lange noch eine gefragte Meisterkurs-Dozentin. Nun ist sie im Alter von 86 Jahren in Wien gestorben. Die Opernwelt wird ihr Andenken in Ehren halten. Aber bitte nicht nur wegen der Hautfarbe, sondern auch wegen der Stimmfarbe.
Zu einem Porträt aus dem Jahr 1963 im FONO FORUM geht es hier: https://www.stereo.de/fonoforum/archiv/1963/4/grace-bumbry-26314