Mit Lucerne Festival Forward startet im November ein neues, jährliches Festival, das Ideen der jungen Musikergeneration eine eigene Plattform bietet. Mitglieder des Netzwerks der Lucerne Festival Academy haben das Programm als Kuratoren zusammen mit Contemporary-Leiter Felix Heri und Festival-Dramaturg Mark Sattler gestaltet. In der ersten Ausgabe vom 19. bis 21. November 2021 gestalten sie in verschiedenen Ensembles des Lucerne Festival Contemporary Orchestra die Konzerte im und um das KKL Luzern. «Mit ‹Forward› gehen wir neue Wege, um den Graben zwischen der ‹Neuen Musik› und dem Publikum zu überwinden und neue Hörerlebnisse zu erschliessen» erklärt Michael Haefliger, Intendant von Lucerne Festival. Die Konzerte nutzen Räume in anderer, ungewohnter Weise, experimentieren mit neuen Konzertformaten, rücken in originellen Werkzusammenstellungen weniger bekannte Stimmen und ästhetische Positionen des zeitgenössischen Musikschaffens in den Fokus und mischen bewusst Nationalitäten, Generationen und Geschlechter.
Das Programm des neuen Festivals wurde im Rahmen eines neuen künstlerischen Ansatzes entwickelt: «Come close and move forward together». Im Frühjahr 2021 erfolgte zunächst eine grosse Ausschreibung an die Mitglieder des Academy-Netzwerks, das mittlerweile weltweit mehr als 1.200 Künstler umfasst. Gefragt waren Projektvorschläge und Ideen zum Thema «Netzwerke». 18 Musiker, sogenannte «Contemporary Leaders» wurden ausgewählt, um das Programm des neuen Festivals zu entwickeln. Dabei sind beispielsweise der Tubist Jack Adler-McKean, der unter anderem 2015 bei Lucerne Festival Young Performance mitgewirkt hat, die Geigerin Winnie Huang, die beim Sommer-Festival 2018 in Stockhausens INORI als Tänzer-Mimin aufgetreten ist, oder die Pianistin Helga Karen, Gewinnerin des Fritz-Gerber-Awards 2020. Es finden mehrere Webinare (Webinar 2 am 30. Juli 2021, 16 Uhr) statt, die die Öffentlichkeit am kreativen Prozess teilhaben lassen. Weitere Termine folgen im Herbst.
Das Thema «Netzwerke» zieht sich als roter Faden auch durch die Konzerte. Alle Veranstaltungen bieten neue, besondere Settings. Winnie Huang gestaltet während des gesamten Festivals 10-minütige Performances für jeweils nur einen Gast – eine intensive Eins-zu-Eins-Situation. Und auch Annea Lockwoods Water and Memory und Michael Pisaros ricefall beziehen die Hörer*innen mit ein. ricefall ist bewusst als Mitmachprojekt für alle angelegt: Die Teilnehmer*innen lassen Reiskörner wie Regen auf verschiedene Gegenstände und Oberflächen rieseln und ermöglichen so eine eindringliche, meditative Klangerfahrung. Olga Neuwirth wiederum setzt in ihrer Raummusik Construction in space den Klang in Bewegung und positioniert die Musiker um das Publikum im Luzerner Saal des KKL Luzern herum. Auch Pauline Oliveros’ Out of the Dark, das in völliger Dunkelheit aufgeführt wird, ist als Raummusik konzipiert und zielt, genau wie Lockwoods Arbeiten, auf ein «deep listening»: Die Hörer*innen tauchen in das Zeit-Raum-Kontinuum des Klangs ein und werden Teil davon.
Als Uraufführung erklingt ein neues Stück des Schweizer Schlagzeugers und Komponisten Jessie Cox: einer von sechs Werkaufträgen, die das Kurator*innen-Team mit der Vorgabe vergeben hat, auf das Festivalmotto und die spezifische Architektur und Akustik des KKL-Konzertsaals einzugehen. «Netzwerke» stehen überdies im Zentrum der verschiedenen Modelle musikalischer Selbstorganisation, die Lockwood und Oliveros, Luis Fernando Amayas Tinta Roja, Tinta Negra, José-Luis Hurtados Retour und George Lewis’ Artificial Life 2007 erproben – in offenen, mit improvisatorischen Elementen arbeitenden Partituren. Und auch Louis Andriessens Workers Union, das zum Festival-Auftakt von den Terrassen des KKL Luzern und auf dem Europaplatz erklingt, lotet das Verhältnis von Freiheit und Disziplin im Ensemblespiel aus – mit dezidiert politischen Implikationen. Denn immer geht es bei Lucerne Festival Forward um die Beziehung zwischen Musik und Welt: Das Thema Natur bildet eine programmatische Klammer, Andriessen und Neuwirth, Lewis und Liza Lim verhandeln in ihren Werken explizit politische und soziale, anthropologische und ökologische Themen.