Rolf Kühn. Foto: Sven Thielmann
Rolf Kühn. Foto: Sven Thielmann

In memoriam Rolf Kühn

Abschied von einem der ganz Großen des deutschen, ja europäischen Jazz. Nicht weniger als sieben Jahrzehnte umspannte die Karriere des Klarinettisten Rolf Kühn, er war ein Stück gelebte Jazzgeschichte.

 

Ob Swing, Free oder improvisierte Musik von heute – zu allen Spielarten des Jazz trug er seinen Teil bei. Und anders als so viele Klarinettenkollegen, die mit dem Übergang zum Modern Jazz aufs Saxofon umstiegen, hielt er der klingenden „Lakritzstange“ nicht bloß die Treue, sondern setzte Maßstäbe in Tongebung, Phrasierung und persönlichem Profil.

Geboren am 29. September 1929 in Köln, aufgewachsen in Leipzig, begann Kühn mit acht Jahren auf dem Klavier, studierte mit zwölf beim Soloklarinettisten des Gewandhausorchesters und spielte mit 17 im Orchester Kurt Henkels. Ab 1950 gehörte er zum RIAS-Tanzorchester unter Werner Müller und arbeitete mit eigener Band, bis er 1956 – inzwischen regelmäßig „bester Klarinettist“ in europäischen Polls – nach New York ging, wo er 1958 bei Benny Goodman einstieg und bis 1960 in dessen Abwesenheit die Band leitete. Zurück in Deutschland, führte er von 1962 bis 1968 das NDR-Fernsehorchester und flankierte dies mit einem Dirigierstudium. Mit seinem Bruder Joachim, der 1966 in den Westen gekommen war, stellte er 1967 auf dem Newport Festival ein Free-Jazz-Quartett vor, doch ab 1968 konzentrierte er sich eher auf Engagements als Musikalischer Leiter an namhaften Theatern und auf Kompositionsaufträge fürs TV. Parallel dazu machte er Aufnahmen mit Musikern wie Albert Mangelsdorff, Palle Danielsson, Niels-Henning Ørsted-Pedersen, Randy Brecker, Chick Corea und anderen, darunter immer wieder auch Bruder Joachim. Nicht zuletzt mit Auftragskompositionen für Sabine Meyer, Eddie Daniels, die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker sowie mit Crossover-Arbeiten für Sinfonieorchester und Jazzband zeigte Kühn seine enorme Wandlungsfähigkeit.

Im neuen Jahrtausend ließ seine Zusammenarbeit mit um fast zwei Generationen jüngeren Musikern, wie Ronnie Graupe, Christian Lillinger, Matthias Schriefl oder Lisa Wulff, aufhorchen. Mit Letzterer und dem Quartett „Yellow + Blue“ war Kühn jetzt noch auf dem Kölner Festival „Multiphonics“ angekündigt. Doch nach einem Sturz und anschließender Operation verstarb „Deutschlands coolster Jazzer“ (Die Welt) in der Nacht zum 19. August. Er wurde 92 Jahre alt.

Berthold Klostermann

https://www.stereo.de/fonoforum/archiv/2019/10/jazz-als-sehnsuchtsort-71375

https://www.youtube.com/watch?v=vGbTaBkiMQU

 

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