Außen Hamburg, innen Venedig: Elbphilharmonie. Bild: Maxim Schulz
Außen Hamburg, innen Venedig: Elbphilharmonie. Bild: Maxim Schulz

Der Klang Venedigs in der Elbphilharmonie

Zum dritten Mal widmet die Elbphilharmonie im kommenden Jahr die Ostertage einer musikalisch faszinierenden Region. Nach »Transatlantik« (2017) und »Kaukasus« (2018) rückt vom 17. bis 23. April 2019 die überaus facettenreiche Musik Venedigs ins Blickfeld.

Venedig ist seit Jahrhunderten europäischer Sehnsuchtsort par excellence und steht nicht erst seit gestern weit oben auch auf der Liste der vom Massentourismus in ihrer Existenz gefährdeten Orte. Venedigs Grundfläche ist winzig, nicht nur im Vergleich zum transatlantischen Raum oder dem Kaukasus, deren Musik sich die Elbphilharmonie in den beiden vorangegangenen Jahren rund um Ostern zuwandte. Doch die Stadt verfügt über eine äußerst beeindruckende, reichhaltige und zudem lückenlose Musikgeschichte, die bis weit in die Renaissance zurückreicht und deren Einfluss auf die abendländische Musik nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. So besaß Venedig zu seiner musikalischen Blütezeit nicht weniger als 20 Opernhäuser. Die Stadt war die Geburts- oder primäre Wirkungsstätte vieler Komponisten von Weltgeltung, angefangen vom aus Flandern zugereisten Adrian Willaert, der im frühen 16. Jahrhundert den Ruhm der venezianischen Domsingschule begründete, über Andrea und Giovanni Gabrieli, Claudio Monteverdi und Antonio Vivaldi bis zu Gioacchino Rossini, Giuseppe Verdi und Luigi Nono. Richard Wagner ist in Venedig gestorben, Igor Strawinskys Gebeine liegen in einem Grab auf der Friedhofsinsel San Michele. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Venedig auch als Schauplatz der Literatur und als Sujet in der bildenden Kunst und im Kino eine zentrale Rolle in der Weltkultur spielt, deren Reichtum sich das Publikum überdies an Ort und Stelle auf der Biennale der Kunst oder den alljährlich stattfindenden Filmfestspielen am Lido vor Augen führen kann.  

Das Osterfestival »Venedig« aber rückt naturgemäß die Musik in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Dabei wird die Elbphilharmonie auch eine Besonderheit des dortigen Musiklebens nachzubilden bzw. zu evozieren suchen: den Raumklang, der zu mancher venezianischen Musik stilprägend hinzugehört. So vermittelt »Der Klang von San Marco« (19.4., 20 Uhr, Großer Saal) plastische Eindrücke von der Tradition der Mehrchörigkeit im Markusdom, die die Altmeister Willaert und Giovanni Gabrieli, angeregt durch die Architektur der Basilika mit ihren vielen Emporen, entwickelten. Flankierend zu Madrigalen und Motetten von Gabrieli interpretieren das Vocalconsort Berlin (Leitung: Michael Alber) und die Instrumentalisten der Capella de la Torre (Leitung: Katharina Bäuml) Vokalwerke von Luigi Nono, der zu den bedeutendsten Komponisten der Nachkriegs-Avantgarde zählt und sich als gebürtiger Venezianer ausdrücklich auch auf Gabrieli bezieht. Tags darauf präsentiert die Capella de la Torre unter dem Titel Una Serata Venexiana einen Reigen rarer musikalischer Miniaturen aus der venezianischen Renaissance (20.4., 17 Uhr, Kleiner Saal).  

Das erste Konzert im Großen Saal, Olga Neuwirths »Le Encantandas« mit dem Ensemble intercontemporain aus Paris unter der Leitung von Matthias Pintscher (18.4., 20 Uhr), gibt mithilfe von 50 kleinen Lautsprechern auch akustische Erfahrungen aus der Chiesa di San Lorenzo wieder, die Neuwirth als Spielmaterial für ihre Komposition in der für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglichen Kirche aufgenommen hat. Auf einer Ebene der musikalischen Textur hört man deshalb in Neuwirths Ohrentheater das Wasser der Lagune an die Mauern der Häuser schwappen, man hört Schritte, Glockenläuten, Bootsgeräusche, menschliche Stimmen und den Klang des Windes.  

Aber auch schon das Eröffnungskonzert (17.4., 19.30 Uhr) bringt Venedig quasi mit allen Sinnen in die Elbphilharmonie: Im Kleinen Saal singt der Bariton Holger Falk Gondellieder aus dem 18. Jahrhundert. Sein Programm Il Gondoliere Veneziano wird begleitet von den Musikern des Ensembles nuovo aspetto (Leitung und Laute: Michael Dücker), Merzouga, ein Duo für Musik und radiophone Kunst, steuert eine elektroakustische Klangkomposition bei. Dazu lässt Folkert Uhde vom Radialsystem Berlin in seiner Videokunst Kanäle und Gassen, Paläste und Kirchen, Menschen und Plätze Venedigs vor den Augen des Publikums vorüberziehen, als säße man selbst in einer der Gondeln.  

Ein Herzstück des Festivals erklingt am Ostersonnabend: »Il ritorno d'Ulisse in patria«, eine der letzten Opern des großen Claudio Monteverdi. Der Geiger und Dirigent Fabio Biondi bringt hierzu das von ihm 1990 gegründete Barockorchester Europa Galante nach Hamburg sowie den Coro Costanza Porta aus Cremona. Die Gesangssolisten, die die vom Librettisten Giacomo Badoaro bearbeiteten Texte aus der Odyssee von Homer singen, stammen überwiegend aus Italien (20.4., 20 Uhr).  

Am Ostersonntag nimmt sich der frankokanadische Cellist Jean-Guihen Queyras im Kleinen Saal der sechs Sonaten für Violoncello an, die Antonio Vivaldi in Venedig komponierte. Auch das Wiedersehen und -hören mit Queyras, diesem seine Kunst scheinbar schwerelos ausübenden Virtuosen, zählt zu den Höhepunkten des Festivals. Queyras war zur Saisoneröffnung 2017/18 bei der Aufführung von Anna Teresa de Keersmaekers Choreografie zu den sechs Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erleben. Bei den Vivaldi-Sonaten begleitet ihn Michael Behringer am Cembalo (21.4., 17 Uhr).  

Abends dann bringt ein Septett um den US-amerikanischen Trompeter Frank London »Ghetto Songs« in den Großen Saal der Elbphilharmonie. Ghetto? Venedig? Tatsächlich stand nicht nur das erste Ghetto für Juden in Venedig (von 1516 bis 1796), von hier stammt auch der Name selbst. In Cannaregio im nördlichen Teil Venedigs liegt die Insel Ghetto, in der die Juden der Stadt Überlieferungen zufolge ein zwar separiertes, aber auch beschütztes und ungestörtes Leben führen konnten. Frank London hat auf Einladung der Stadt im Rahmen eines Forschungsaufenthalts in Venedig ausgiebig in Archiven recherchiert und dabei viel Material zutage gefördert, das ihn zu Querverbindungen zwischen den Liedern der Gondoliere, Kantorengesängen aus der jüdischen Gemeinde, mittelalterlicher italienischer Poesie und politischen Liedern angeregt hat. Folgerichtig gehört zu seiner Band mit Svetlana Kundish auch eine wunderbare jiddische Sängerin und Kantorin. Frank London ist Mitbegründer der New Yorker Band The Klezmatics und war neben John Zorn einer der Vertreter der Radical Jewish Culture der 90er-Jahre in New York (21.4., 20 Uhr). Als Vorspiel zum Thema Ghetto Songs veranstaltet die Reihe Elbphilharmonie + einen Abend mit dem politisch exponierten Hamburger Rapper Disarstar im Kultur Palast Hamburg (13.4., 20 Uhr).  

»Von Byzanz bis Venedig« ist das Programm überschrieben, mit dem der katalanische Musiker Jordi Savall am Ostermontag in die Elbphilharmonie zurückkehrt. Savall hat in Hamburg wiederholt mit groß dimensionierten Projekten gastiert, etwa im Rahmen des ersten Lux-aeterna-Festivals 2013 mit der »Marienvesper« von Claudio Monteverdi in St. Michaelis. Zuletzt bereicherte er 2017 das Festival »Transatlantik« mit der hellsichtigen musikhistorischen Revue »Die Routen der Sklaverei«. Um das gute Jahrtausend zwischen der Gründung Venedigs um 700 bis zur Unterwerfung durch Napoleon 1797 musikalisch angemessen zu repräsentieren, verlässt sich Savall diesmal nicht nur auf seine Stamm-Ensembles Le Concert des Nations, La Capella Reial de Catalunya und Hespèrion XXI, sondern zieht zusätzlich ein orientalisches Instrumentalensemble sowie ein byzantinisch-orthodoxes Vokalensemble hinzu (22.4., 20 Uhr, Großer Saal).  

Die kanadische Konzertorganistin Isabelle Demers beschließt am Dienstag nach Ostern mit einem speziell auf das »Venedig«-Festival zugeschnittenen Orgel-Recital den Konzertreigen zu Ehren der Serenìsima Repùblica di Venessia und ihrer vielfältigen Spuren in der Musik. Die Tour d'horizon auf dem viermanualigen Spieltisch beginnt bei Johann Sebastian Bach und Andrea Gabrieli, springt dann zu Richard Wagner und Jean Guillou, um über Tomaso Albinoni schließlich bei Igor Strawinsky zu landen.  

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