1. Ein Stück, das Ihnen viel bedeutet, das aber viel zu wenig bekannt ist: Viktor Ullmanns „Der Mensch und sein Tag“ ist ein filigraner Liedzyklus, der unter den furchtbarsten Umständen geschrieben wurde. Er zeigt uns so viel über Ullmanns Seele und auch die Texte von Hans Günther Adler erreichen und treffen uns direkt im Herzen – für mich der Ort, an dem Musik resonieren soll.
2. Ein Stück, das alle/die meisten anders singen als Sie: Mendelssohns „Hexenlied“ ist für mich ein Werk mit hässlichem Charakter: Wir reden von einer Hexe und nicht von einer Prinzessin. Das Ende mit den wiederholten „Juchaisa“ – da öffne ich meinen Hals und stelle mir vor, es gäbe kein Morgen mehr. Ich will für das Publikum auf der Bühne zur Gänze authentisch singen und nie künstlich. Im Live-Konzert hat man das Publikum in der Hand, und schuldet es allen, tausend Prozent zu geben. Daher ecke ich vielleicht mit dieser Interpretation an, die Hexe höre ich bei wenigen Sängerinnen und Sängern raus.
3. Ein Stück, das Sie nie wieder singen wollen (aber früher gesungen haben): Kürzlich durfte ich am Grand Teatro Liceu den zweiten Handwerksburschen in „Wozzeck“ singen. Für mich war es grandios, in diesem so weltbedeutenden Hause zu singen, diese Rolle ist jedoch äußerst kurz und trotzdem „sack“-schwer. Wenn man diese zehn Minuten „vergeigt“, hat man einen schlechten Eindruck hinterlassen. Ich hatte eine tolle Zeit als Handwerksbursche, durfte mit hervorragenden Kollegen auftreten, würde jedoch diese Partie nicht mehr singen wollen, es sei denn, die Met klopft an.
4. Ein Stück, das Sie nie verstanden haben (oder alternativ: ein Stück, dessen Erfolg Sie nie verstanden haben): Bis ich selbst in Alban Bergs „Wozzeck“ involviert war, konnte mich dieses Werk nicht erreichen. Nach vielen Wochen Probenzeit und dem Auseinandersetzen mit dieser Oper hat sie mich jedoch erreicht und ich begann sie so zu schätzen, dass sie für mich aus heutiger Sicht die perfekte Oper ergibt.
5. Das letzte Musikerlebnis, das Sie umgehauen hat (als Interpret oder Zuhörer): Mein Einspringer bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen. Ich habe drei enorm emotional aufwühlende Werke auf Belarussisch von drei verschiedenen Komponisten gelernt innerhalb von 48 Stunden, welche alle Teil des politischen Widerstandes in Minsk sind. Das Konzert stand als Erinnerung an die inhaftierte Flötistin und Politikerin Maria Kalesnikava. Nach dem Konzert saß ich im Hotel und war vor Fassungslosigkeit fast gelähmt: Wir leben in Freiheit, so viele Menschen nicht. Ich schrieb ihr einen Brief ins Gefängnis und hoffe, sie eines Tages kennenlernen zu dürfen.