Antje Weithaas (Bild: Kaupo Kikkas)
Antje Weithaas (Bild: Kaupo Kikkas)

5 Fragen – 5 Antworten: Antje Weithaas

Die Geigerin Antje Weithaas ist als Solistin und Kammermusikerin gleichermaßen hoch geschätzt. Als Solistin hat sie zum Beispiel mit den Bamberger Symphonikern, den großen deutschen Radio-Orchestern sowie mit internationalen Spitzenorchestern wie Los Angeles Philharmonic, San Francisco Symphony oder dem Philharmonia Orchestra musiziert.

1. Ein Stück, das Ihnen viel bedeutet, das aber viel zu wenig bekannt ist: Da fällt mir als Allererstes Schostakowitschs zweites Violinkonzert ein, das zu Unrecht immer noch ein Schattendasein im Vergleich zum ersten Violinkonzert führt. Das zweite Violinkonzert ist später Schostakowitsch, der kompromisslos und ohne Angst seine inneren Gedanken und Emotionen zu Papier bringt. Und es beinhaltet eigentlich alles, was man vom späten Schostakowitsch kennt: Depression, unglaubliche Traurigkeit, auch Wut und Hoffnungslosigkeit, allerdings auch unglaublich berührende Momente. Für mich eines der am meisten zu Herzen gehenden Violinkonzerte.

2. Ein Stück, das alle/die meisten anders spielen als Sie: Sibelius’ Violinkonzert. Sibelius gehörte wie Elgar zu den Komponisten, die ihre Werke quasi „überbezeichnet“ haben. Meiner Meinung nach haben die Komponisten diese Maßnahme ergriffen, da das Virtuosentum, also die Solisten der damaligen Zeit, eigentlich gespielt haben, was sie wollten. Um diese „Alleingänge“ zu vermeiden, haben die Komponisten ihre Werke dann extrem genau bezeichnet, sowohl was Tempi als auch dynamische Vorgaben angeht. Wenn man sich das anschaut, klingt das Stück ziemlich anders als das, was man oft hört. Tatsächlich ändert sich das auch gerade und es wird mehr Aufmerksamkeit auf die „Texttreue“ gelegt. Für mich wird dieses Stück aber immer noch sehr häufig als ein romantisches, fast schon slawisch-romantisches Stück gespielt und das ist es definitiv nicht. Es hat seine ganz eigene Tonsprache, und wenn man den Bezeichnungen Sibelius’ folgt, ist es eigentlich sehr eindeutig, was er möchte – die Spieltradition geht nur so weit, dass selbst rhythmische Passagen verzerrt und Phrasierungen verändert werden …

3. Ein Stück, das Sie nie wieder spielen wollen (aber früher gespielt haben): Das ist eine sehr schwierige Frage, da ich eigentlich nur Stücke spiele und gespielt habe, die mich interessieren. Mit der jahrelangen Erfahrung habe ich natürlich auch eine andere Sichtweise darauf bekommen. Wenn mir etwas einfällt, dann sind es vielleicht die virtuosen Stücke wie „Carmen-Fantasie“ oder Saint-Saëns’ „Rondo Capriccioso“, die ich zwar immer noch liebe, wenn ich sie sehr gut gespielt höre, aber mich heute damit nicht mehr auf die Bühne stellen würde, da mein geigerisches Interesse in dieser Hinsicht nicht mehr ganz so groß ist.

4. Ein Stück, das Sie nie verstanden haben: Ich bin inzwischen der Meinung, dass man, wenn man mit einem Stück auf die Bühne geht, eine innere Einstellung dazu haben muss, und dass man etwas damit sagen möchte. Wenn ich tatsächlich am Anfang mit einem Stück nichts anfangen konnte, ist es oft so gewesen, dass ich dann in der Beschäftigung damit einen Zugang gefunden habe. Manchmal ist der Zugang mühsam, aber es lohnt sich, und deswegen fällt mir eigentlich kein Stück ein, das ich hier benennen möchte.

5. Das letzte Musikerlebnis, das Sie umgehauen hat (als Interpret oder als Zuhörer): Da gibt es eigentlich nur eins, das mir in den Sinn kommt, und das ist der letzte Soloauftritt von Lars Vogt, bei seinem Festival in Heimbach, als er schwer krank nach Heimbach kam, am Ende des Festivals und im Zugabenkonzert ein Brahms-Intermezzo gespielt hat. Er war immer ein unglaublich tiefer Musiker, aber das war ein Moment, der nicht mehr von dieser Welt war, mit einer unglaublichen Berührtheit und schon mit einer fast universellen Energie – ein unglaublich lyrisches Stück, in dem jeder Ton eine Welt eröffnet. Es hat uns alle sprachlos zurückgelassen und vielleicht war das eine Art von Musikmachen, wenn man innerlich spürt, dass einem nicht mehr viel Zeit bleibt. Mit diesen paar Tönen hat er uns eindeutig gezeigt, was Musik für ihn bedeutet hat – und welchen großartigen Musiker wir viel zu früh verloren haben. Also, das war für mich ein unglaublich intensives Erlebnis, das ich wohl nie vergessen werde.

Nächstes Album:
Für das Frühjahr 2023 ist Vol. 1 einer Aufnahme aller Violinsonaten von Ludwig van Beethoven mit Dénes Várjon am Klavier angekündigt.

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