Raumakustik

Das Experiment

Kaum etwas prägt den Höreindruck so stark wie die Raumakustik. Wir erklären die Hintergründe und zeigen Lösungsvorschläge für Probleme auf. Andreas Kunz

Karl Kunstkopf (Name geändert) ist mit dem Klang seiner Kette unzufrieden. Zunächst versucht er seine Anlage zu tunen, tauscht Kabel aus, die Netzleiste und das Rack. Als dies nicht zum Erfolg führt, investiert er einen vierstelligen Betrag in neue Boxen. Mit frustrierendem Ergebnis, denn immer noch klingt es diffus, wummern die Bässe und beißen die Höhen. Nicht wenige HiFi-Fans erleiden Ähnliches und verabschieden sich schließlich frustriert von dem geliebten Hobby. Und dies, obwohl die Lösung der Probleme auf der Hand liegt: Wenn eine hochwertige Anlage schlecht spielt, dann ist fast immer die Raumakustik schuld.
Doch obwohl sich der Raum viel drastischer auf den Höreindruck auswirkt als zum Beispiel Kabel oder Netzleisten, wird dieses Thema von vielen HiFi-Fans immer noch maßlos unterschätzt. Dabei liegt der Gedanke eigentlich nahe, schließlich hat jeder Raum seine eigene Charakteristik. Zwar sind hochwertige Boxen, Amps und Player (annähernd) linear abgestimmt, aber auf dem Weg von den Lautsprechern zum Hörer werden die Schallwellen durch den Raum beeinflusst, werden reflektiert, verstärkt oder abgeschwächt.
Doch wie erschafft man eine günstige Raumakustik? Um dies zu demonstrieren, starten wir zunächst bewusst unter schlechten Bedingungen, die wir dann Schritt für Schritt verbessern. Ausgangspunkt für unser Experiment ist die Situation unmittelbar nach einem Umzug oder einer Renovierung. Der rechteckige, 28 Quadratmeter bzw. knapp 72 Kubikmeter große Raum ist praktisch leer. Als Testanlage haben wir eine gute Mittelklasse-Kette zusammengestellt, bestehend aus der CD-Player-/Vollverstärker-Kombi „M3 SCD/M5 SI“ von Musical Fidelity und zwei Canton Vento 896-Boxen.

Als erstes Hörbeispiel wählen wir Rodrigo Y Gabrielas Version des Rock-Klassikers „Stairway To Heaven“ für zwei Akustikgitarren: Unter guten Hörverhältnissen eine Musik, die einen mitreißt. Doch hier wirkt sie unangenehm grell, vor allem die hohen Töne beißen regelrecht, sodass die dramatische Steigerung gegen Ende zu einer regelrechten Tortur wird. Nein, statt als „Himmelstreppe“ entpuppt sich dieses „Stairway To Heaven“ eher als ein Schotterweg in die Hölle. Kaum besser wirkt Dave Brubecks Jazz-Standard „Take Five“. Saxofonist Paul Desmond scheint in einer gekachelten Toilette zu spielen, so viel Hall war selten. Bass und Klavier tönen mulmig, und die Rhythmusfigur, die Drummer Joe Morello auf dem Becken zelebriert, knallt viel zu stark. Auch Franz Liszts „Ungarische Rhapsodie Nr. 2“ im Dirigat des legendären Leopold Stokowski zündet nicht, die rassigen „Zigeunermelodien“ scheinen in den Schluchten Transsilvaniens zu versumpfen, als derart breiig entpuppt sich der Sound des Orchesters. Zudem haben die Streicher in den hohen Lagen etwas Schneidendes. Geradezu körperlich unangenehm wirkt AC/DCs Hard­rock-Hymne „Back In Black“: Während die Bässe dröhnen, peitschen krakeelende Stimmen und Gitarren die Trommelfelle: scheußlich wie ein Tinnitus.

 

Damit haben wir gehört

Die nach Messung der Raumakustik erstellte Grafik bestätigt den gruseligen Eindruck: Vier Gipfel bei 45, 67, 90, und 114 Hz stehen für Raummoden mit rund 10 Dezibel mehr Pegel als im Mittel- und Hochtonbereich. Was bedeutet, dass diese Basstöne als doppelt so laut empfunden werden, wobei sie sich als unangenehmes Wummern bemerkbar machen. Als ein weiterer störender Faktor erweist sich lange Nachhallzeit, die bei 64 Hz eine volle Sekunde beträgt und das Klangbild mulmig-diffus werden lässt – als angenehm bei einem Raum dieser Größe gelten 0,4 bis 0,6 Sekunden.
Auch im Mittel- und vor allem Hochtonbereich wirken sich die Nachhallzeiten nachteilig aus. Hier sind die Wellen zwar deutlich kürzer, sodass sie nicht zwischen den Wänden „stehen“. Wenn aber Direktschall zu stark von Reflexionen überlagert wird, verfärben sich Instrumente und Stimmen. Im schlimmsten Fall wird das Klangbild regelrecht scharf, was auf Flatterechos zurückzuführen ist. Die entstehen, wenn Schallwellen mehrfach zwischen Wänden hin- und hergeworfen werden.

 

So weit, so schlecht. Um die Feinde einer guten Raumakustik – Raummoden, frühe Reflexionen und zu lange Nachhallzeiten – in den Griff zu bekommen, helfen zwei Waffen: Absorption und Diffusion. Ohne Absorption (Dämpfung) würde ein einmal ausgesandter Schall theoretisch unendlich lange im Raum umherwandern.

Zunächst konzentrieren wir uns auf den Hochtonbereich, denn der Parkettboden, die Fenster und Rigips-Wände reflektieren die hohen Schallanteile teils sehr hart. Da hohe Frequenzen kurz sind, eignen sich zur Dämpfung Materialien mit feinporigen Strukturen, in unserem Fall dient diesem Zweck ein Sofa sowie ein verdichteter, hochfloriger Teppich, der zwischen Boxen und Hörplatz platziert die ersten Reflexionen dämpft.
Ähnlich wichtig ist Diffusion, denn diffus gestreut besteht der Nachhall nicht aus einzelnen, scharfen Reflexionen, sondern aus sehr vielen, die gleichmäßig in ihrer Intensität abnehmen. Mit anderen Worten: „Schlechte“ Schallanteile werden „unschädlich“ gemacht, indem sie von diffusen Reflektoren in möglichst viele kleine Anteile zerlegt und in verschiedene Richtungen gestreut werden. Im Hinblick auf ein einheitlich durchmischtes Klangbild verwenden wir ein Regal, in dem die Bücher bewusst „schlampig“ einsortiert werden, denn ungleichmäßige Kanten fördern diesen Effekt; in geringem Maße wirken auch Zimmerpflanzen diffus – je großblättriger, umso eher.

 

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