Service: Tonabnehmerreparatur

Kracks!!

Aua! Eben noch klang der Abtaster so schön. Von einem Moment auf den anderen ist er Schrott! Die Nadel oder das Abtaststäbchen hat man schnell beschädigt. Und nun? STEREO sagt, was zu tun ist und wo es Hilfe gibt. Matthias Böde

Der Schreck durchfährt den Vinylhörer wie ein Blitz. Doch es ist zu spät! Durch eine Unachtsamkeit – es reicht schon eine versehentliche Bewegung, die den Arm über die Scheibe schießen lässt oder eine winzige Tölpelei bei Einbau beziehungsweise Justage – hat er den empfindlichen Nadelträger seines Tonabnehmers beschädigt oder in der Mehrzahl der Fälle gleich ganz abgerissen und dadurch das Pickup zerstört. Dass dann keinerlei Garantie greift, versteht sich von selbst. Und die Gefahr ist allgegenwärtig. Während sich viele HiFi-Fans um einen möglichen Abrieb am Diamanten sorgen, sind solcherlei Bedenken oft unnötig, weil in der Praxis die weitaus meisten Abtaster lange vor Erreichen ihrer Verschleißgrenze „sterben“. Und dies in aller Regel durch Ungeschicklichkeit. Gäbe es eine Statistik dazu, würde sich wohl erweisen, dass dabei die Mehrzahl der Nadeln in Staubtüchern hängenbleibt. Ist Ihnen auch schon mal passiert? Siehste!

Handelt es sich um ein womöglich günstigeres MM-System, ist der Schaden in der Regel zügig behoben: Defekter Nadeleinschub raus, neuer rein – fertig! Aufwand und Kosten bleiben dabei einigermaßen überschaubar. Okay, bei betagteren Modellen kann die Suche nach der passenden Austauschnadel etwas Zeit beanspruchen, doch irgendwie wird man fündig. Fast alle MM-Abtaster mit Ausnahme etwa der von Clearaudio beziehungsweise der größeren Modelle aus den Häusern Grado und Rega bieten diese Möglichkeit zum „fliegenden Wechsel“. Dennoch landen auch viele betagte oder beschädigte MMs bei den einschlägigen Tonabnehmerreparateuren. Der Grund besteht darin, dass die Kunden mit den Fremdeinschüben zu ihren MMs von AKG, ELAC oder Shure nicht einverstanden sind und dann lieber die abgenutzte, verhärtete oder sonstwie unbrauchbar gewordene Originalnadel neu aufbauen lassen, wobei fast immer die wie uralte Autoreifen bröselig gewordenen Dämpfer erneuert werden müssen.

Doch so richtig ärgerlich wird’s, wenn ein vielleicht Hunderte oder gar Tausende Euro teures Mitglied aus der Familie der MC-Tonabnehmer gehimmelt wurde, bei denen der Abtaststift mit seiner Aufhängung und Spulenarmatur eine Einheit bildet – und man obendrein niemand anderes für den Schaden verantwortlich machen kann als sich selbst und seine Dusseligkeit.

Dann ist guter Rat im wahrsten Wortsinn „teuer“, denn ein defekter Nadelträger ist ein Kapitalschaden. Für den gleich dem Aluminiumröhrchen im Aufmacherbild – keine Angst, es handelt sich nur um eine Fotomontage – geknickten Analogfan ergeben sich mehrere Möglichkeiten: Entweder erwirbt er einen neuen Abtaster oder er lässt den beschädigten reparieren, was unter Insidern nach dem englischen Begriff für die Nadelspitze „Retippen“ heißt.

Je nach Schadensbild wird dabei ein neuer Diamant auf das Abtaststäbchen gesetzt oder aber – was häufiger ist – der Nadelträger gleich mit ersetzt. Hat man Pech, ist das MC so konstruiert, dass die Spülchen ebenfalls getauscht werden müssen. Die Preise fürs Retippen schwanken naturgemäß je nach Aufwand, Hersteller sowie Preis des defekten Abtasters. Bei unserer Recherche zeigte sich, dass dieses Verfahren für viele Anbieter nicht etwa die Ausnahme, sondern alltäglich ist. So retippt zum Beispiel der Studioausstatter EMT, der unlängst sein 75-jähriges Bestehen feierte, rund 600 seiner MCs pro Jahr, was locker eine Vollzeitstelle bedeuten dürfte.

 

Schadensbilder

Kleine Schar von Spezialisten

Ist der Aufwand zu groß, weil etwa der Produzent in Asien sitzt, man denke nur an Dynavector beziehungsweise den „Analogkonzern“ Audio-Technica, wird dem Kunden bei Einreichung des defekten Exemplars oft ein neuer oder aber instandgesetzter Abtaster zum Vorzugspreis angeboten. Dabei muss natürlich das ruinierte Exemplar eingereicht, also die Beschädigung nachgewiesen werden. Sich einen Tonabnehmer mit Rabatt zu erschleichen, funktioniert in aller Regel nicht. Anbei haben wir eine Liste mit den wichtigsten Anbietern und ihren Regulierungsangeboten angelegt.

Geht der Abtaster zurück ins Werk, darf man annehmen, dass er praktisch im Neuzustand zurückkommt. Denn nicht selten wird dann das gesamte Innenleben getauscht. Und zwar mit Originalteilen. Das ist auch für Besitzer zwar voll funktionsfähiger, jedoch stark angejahrter Tonabnehmer interessant, die ihrem Kleinod die Treue halten wollen, wo es aber für eine weiterhin intakte Beziehung etwa neuer Dämpfer in der Aufhängung bedarf. Sind diese vetrocknet, rissig  oder bröselig, müssen oft auch die Spülchen ausgetauscht werden, weil deren hauchdünner Draht mit dem Gummi verklebt wurde und sich kaum mehr von diesem trennen lässt, wie es etwa Altmeister van den Hul aus seiner Reparaturpraxis berichtet.

Doch ein Werksservice dürfte die Ausnahme sein. Vielmehr hat sich eine kleine Schar von Spezialisten etabliert, die defekte MC-Tonabnehmer reparieren. Der bekannteste ist wohl Franz-Josef Schulte mit seinem FJS Tonabnehmer Service im ostwestfälischen Büren nahe Paderborn. Der hatte das Geschäft von Axel Schürholz gelernt und 2016 übernommen, als dieser sich aus Altersgründen zurückzog. Rund 1000 Abtaster gingen 2017 durch Schultes erfahrene Hände, der an seinem Job insbesondere schätzt, dass dieser nie langweilig wird, da beinahe jeder Tonabnehmer eine neue Herausforderung darstellt.

Dabei ist es erstaunlich, dass selbst vermeintlich „hoffnungslose Fälle“, bei denen sich etwa die Aufhängung im Laufe der Jahre aufgelöst und dabei den Nadelträger verloren hat, in aller Regel wieder instandgesetzt werden können. Gerade synthetische Gummis, so berichten die Reparateure unisono, sind sensibel gegenüber Öl und Fett, aber auch gegenüber UV-Strahlung. Ein Plattenspieler in direkter Sonneneinstrahlung ist ohnehin, aber auch deshalb keine gute Idee.

 

Preise im Zaum halten

Die Materiallieferanten für das spezialisierte Feinhandwerk sind dieselben, die auch die regulären Tonabnehmerhersteller beliefern, zuvörderst die japanischer Provinienz. Diese liefern etwa vorgefertigte Aluminium- oder härtere, leichtere und zugleich noch steifere Bor-Nadelträger mit bereits aufgesetzten Diamantnadeln in unterschiedlichen Schliffen. Dennoch erfordert deren Einsetzen, Ausrichten und Verankern viel Können und Erfahrung. Die Hauptarbeitsmittel von Schubert, van den Hul & Co. sind grazile Pinzetten und ein hochvergrößerndes Mikroskop.

Bei der Preisgestaltung betonen beide, die Kosten im Zaum halten zu wollen, weil sie wissen, dass die Kunden abspringen, sobald der Abstand einer Reparatur zum Neukauf zu gering wird. Vergünstigte Austauschpreise seitens der Hersteller und Vertriebe setzen die Service-Leister dabei zusätzlich unter Druck. Dennoch scheint keiner von ihnen Angst vor der Zukunft zu haben. Schließlich brummt das Analog-Business, was Tonabnehmer einschließt, hängen die Analogfans an ihren feinmechanischen Preziosen und sorgen dennoch unfreiwillig dafür, dass den Werkstätten die Arbeit nicht ausgeht.

Denn dauernd macht es irgendwo „Kracks“.

Bei 80 Euro geht‘s los

Seit 2003 repariert Martin Göttmann Tonabnehmer. Er lernte das Metier von der Pike auf.

Bevor er sich als „Der Nadelspezialist“ selbstständig machte, arbeitete Martin Göttman gut zwei Jahrzehnte bei einer Firma, die Ersatzeinschü­be für eine große Zahl von MM-Tonabnehmern fertigte und vertrieb. Gemeinsam mit Hans-Georg Petry repariert das in Veitsrod nahe dem Schmuck- und Diamantschleiferzentrum Idar-Oberstein ansässige Unternehmen alle Arten von Abtastern, wobei man sich auf den Austauch von Nadelträgern mit aufgesetzten Steinen beschränkt. Göttmann bestätigt, dass mehr als 80 Prozent der rund 500 pro Jahr zum Service eingereichten Pickups  Schadens- und nur der kleinere Teil Verschleißfälle sind. Oft passiere der „Totschlag“ beim Einbauen. Je nach Nadelschliff und Aufwand liegen die Preise fürs Retippen zwischen 80 und 200 Euro. „Wieder­holungstäter“ können sogar auf Kulanz hoffen.

 

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